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Der Bann (German Edition)

Der Bann (German Edition)

Titel: Der Bann (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen L. Jones
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er hatte ihn die meiste Zeit seines Lebens gehasst. Trotzdem hatte sich die Zahl der Menschen, mit denen Jakab etwas verband, soeben verringert, und deswegen, wenn schon aus keinem anderen Grund, sollte er vermutlich so etwas wie Trauer empfinden.
    Alexej kam aus dem dunklen Schlafzimmer und trat auf den Balkon heraus. «Der andere ist abgehauen, als er den Schuss gehört hat», berichtete er und blickte über die Balustrade auf den Leichnam hinunter. «Soll ich ihn für Sie beseitigen?»
    Jakab musterte Alexej für einen Moment, während er überlegte, ob er ihm ebenfalls eine Kugel durch den Kopf schießen sollte. Doch dann legte er ihm eine Hand auf die Schulter und nickte. Alexej hatte ihm gut gedient, und er wusste nicht, wann er seine Dienste erneut benötigen würde. Es war besser, Bekanntschaften wie diese zu erhalten.
    Jakab packte rasch seine Sachen, stieg über die rückwärtige Grundstücksmauer und verließ Pozsony noch in derselben Nacht. Bis nach Keszthely waren es zwei Tagesreisen mit Bahn und Kutsche. Jakab mietete ein Zimmer in der Nähe des Sees und verbrachte den ersten Tag damit, am Ufer spazieren zu gehen, während er darüber nachdachte, wie er Erna am besten über seine Rückkehr informieren sollte.
    Er sehnte sich genauso sehr nach ihr wie an jenem Tag im Wald hinter der Taverne ihres Vaters, als sie sich Lebewohl gesagt hatten. Er hatte den Ring immer noch bei sich. Das Gewicht in seiner Tasche war eine ständige, beharrliche Erinnerung.
    Eigenartigerweise verspürte er Nervosität angesichts ihres bevorstehenden Wiedersehens. Er konnte sich nicht erklären, aus welchem Grund. Es schien ihm beinahe so, als wäre die Zeit seiner Trennung von Erna – und seine Konfrontation mit Jani – der Preis, den das Schicksal für seine Erlösung forderte. Jakab hatte die Herausforderung erhobenen Hauptes angenommen, und jetzt waren seine Fehler in Buda vergessen. Nach Janis Tod hatte der
tanács
keine Möglichkeit mehr, ihn aufzuspüren. Er konnte nicht in Keszthely bleiben, zugegeben, doch er hatte immer noch Geld, mehr als genug, um ein Haus weit weg von hier zu kaufen und in Frieden mit Erna eine Familie zu gründen.
    An jenem Abend legte er sich im Hotelzimmer auf den Läufer und erweckte Márkus Thúry wieder zum Leben. Der inzwischen wohlvertraute Schmerz riss ihm fast den Schädel auseinander und ließ ihn mit den Hacken auf die Dielen trommeln.
    Als er fertig war, verschlang er eine Mahlzeit, spülte sie mit Wein herunter und kroch anschließend ins Bett, um sich zu erholen. Ein paar Stunden später, eingenistet in sein neues Gesicht, spazierte er in die Taverne ihres Vaters. Er setzte sich an die Theke und blieb den ganzen Abend dort, doch Erna tauchte nicht auf. Ihr Vater bediente ihn stattdessen, unterhielt sich mit dem Fremden, scherzte und tratschte, doch Jakab widerstand dem Drang, nach Erna zu fragen.
    Einen Tag später saß er in dem Restaurant gegenüber dem Festetics-Palast, starrte hinaus auf den Dunst, der über der Stadt hing und sich an den Fenstern niederschlug, als eine Frau die Straße entlangkam. Er sah genauer hin, und es versetzte ihm einen Stich.
    Jakab hielt den Atem an, als sie näher kam. Er legte die Hände auf die weiße Tischdecke. Das Geschirr fing an zu klappern.
    Erna.
    Kein Zweifel möglich.
    Sie sah anders aus. Irgendwie älter. Dicker um die Hüften herum, mit schwereren Brüsten. Ihr Gesichtsausdruck war abwesend, und er stellte beschämt fest, dass er in ihren Zügen nach Anzeichen von Schmerz suchte, irgendeinem Hinweis auf Liebeskummer. Als sie das Fenster passierte, warf sie einen flüchtigen Blick ins Innere, und für einen Moment begegneten sich ihre Augen. Erna lächelte und ging weiter, als wäre nichts gewesen, einfache Höflichkeit gegenüber einem Fremden. Und dann bemerkte Jakab, dass sie ein Kleinkind auf der Hüfte trug.
    Der Anblick verwirrte ihn und brachte seine Gedanken ins Stocken. Er blickte sich im Lokal um, sah zur Uhr an der Wand und zu dem silbernen Teekessel auf dem Tisch vor ihm, während er versuchte, das Gesehene zu verarbeiten. Ein verblüffender Gedanke ging ihm durch den Kopf, doch er wusste, dass es ein Ding der Unmöglichkeit war, noch während er darüber nachdachte. Sie waren viel zu vorsichtig gewesen, und das Kind war zu jung.
    Als ihm dämmerte, dass sie jeden Moment im Nebel verschwinden würde, sprang er auf, um hinter ihr herzurennen. Er warf eine Vase um, und Wasser spritzte über die weiße Tischdecke. Fluchend

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