Der Bann (German Edition)
Wiedersehen schlecht vorbereitet. Wenn sie seine Rückkehr in ihr Leben erst akzeptiert hatte, würde sie sehen, wie voreilig es gewesen war, ihn zurückzuweisen. Sie würde ihre Worte bedauern. Alles würde wieder gut.
Jakab traf wie verabredet kurz vor Sonnenaufgang am Bootssteg ein. Der Nebel war um diese Zeit so dicht, dass er nicht sagen konnte, wo die Sonne aufgehen würde. Er saß auf einem Baumstumpf neben dem Wrack eines Ruderboots und wartete. In seinem Magen brodelte es vor Nervosität.
Der Bootsschuppen ragte über ihm auf, eine einstöckige Hülle aus Holz mit einem durchhängenden Dach und einem breiten Tor auf der Vorderseite. Einer der Torflügel war herausgefallen und lag im Gras. Die Farbe war von den Wänden abgeblättert, und die Sonne zahlloser Sommer hatte die Balken darunter verzogen und ausgebleicht. Die Schattenseite war von Moosen und Flechten überwuchert wie von einer Krebsgeschwulst. Längst hatte jemand das Tor auf der Seeseite entfernt, das früher an einer Metallschiene aufgehängt war. Dahinter befand sich eine betonierte Rampe. Gleich neben dem Bootshaus ragte ein Holzsteg in den See hinaus.
Erna tauchte aus dem Nebel auf und eilte von der Straße über den schmalen Weg. Er sprang auf, um sie zu begrüßen, doch sie schüttelte heftig den Kopf und hob abwehrend die Hände. «Nein, Jakab, dazu ist keine Zeit! Du musst weg von hier. Jetzt, sofort! Sie sind hinter dir her!»
Jakab runzelte die Stirn. «Was redest du da?»
«Wir haben keine Zeit für Erklärungen. Du musst weg von hier,
auf der Stelle
. Bitte, Jakab, ich wollte das nicht. Aber … deine Leute. Sie wissen, dass du hier bist. Sie kommen, um dich zu holen.»
Er hatte Mühe, ihre Worte zu verarbeiten. «Ist das ein Trick?», fragte er.
«Ein Trick? Jakab, traust du mir das zu?»
Er starrte sie an. «Du hattest es ziemlich eilig vor drei Tagen, mich wieder loszuwerden.»
«Herrgott im Himmel, für was für eine Sorte Frau hältst du mich eigentlich?» Sie packte ihn am Ärmel. «Komm jetzt. Geh nicht zurück auf die Hauptstraße. Folge dem Ufer bis nach Gyenesdiás. Von dort kommst du mit der Kutsche weiter. Komm nicht nach Keszthely zurück. Versprich mir das, Jakab. Hast du Geld? Hier, ich habe dir etwas mitgebracht. Es ist nicht viel, aber vielleicht hilft es dir weiter …»
Erna kramte in ihren Röcken und brachte eine Handvoll Münzen zum Vorschein. Als sie versuchte, ihm das Geld in die Hand zu drücken, schleuderte er ihren Arm in plötzlicher Wut von sich. Die Münzen flogen in hohem Bogen ins Gras. Sie stieß einen erschrockenen Laut aus und kniete nieder, um sie einzusammeln.
«Glaubst du wirklich, ich brauche deine bäuerliche Mildtätigkeit?», schnauzte er sie an. «Woher wissen sie, dass ich hier bin? Woher weißt du, dass sie mich holen kommen?»
Sie sammelte die verstreuten Münzen ein. «Jakab, bitte. Bitte vertrau mir einfach. Nimm das Geld. Es ist kein Trick, ich schwöre es! Glaubst du wirklich, ich könnte dich betrügen, nach allem, was wir hatten? Denkst du so schlecht von mir?» Sie schluchzte. «Du hast keine Zeit mehr. Sie können jeden Augenblick hier sein.»
«Balázs, Lukács! Balázs, Jakab!»
Beim Klang der fremden Stimme machte Jakab einen Satz von ihr weg. Der Nebel schien noch dichter geworden zu sein, ein wabernder Schleier ringsum, der die Umgebung verbarg und es unmöglich machte, die Richtung festzustellen, aus der die Stimme gekommen war. Feuchtigkeit klebte auf Jakabs Mantel, leckte an seinem Gesicht und seinen Wangen und seinen Haaren.
«Balázs, Lukács! Balázs,
Jakab
!»
Eine männliche Stimme, misstönend und verweichlicht. Jakab spürte die Verachtung darin. Er hörte ein Pferd schnauben. Er drehte sich auf dem Absatz um und sah in Richtung des Weges, der von der Hauptstraße zum Bootssteg führte.
Dort, im dichten Nebel, bewegte sich ein dunkler Schatten. Er wurde größer und größer und schließlich als Reiter auf einem Pferd erkennbar. Der Reiter trug einen schwarzen, breitkrempigen Hut und einen mit Dreck besudelten ledernen Übermantel. Das Pferd, ein gewaltiger grauer Hengst, kam auf klappernden eisenbeschlagenen Hufen herbei und schnaubte. Dampf stieg von seinen Nüstern auf.
Der Reiter hob den Kopf und musterte Jakab aus Augen, die aussahen wie kalte gelbe Tümpel mit darauf treibenden Flecken aus Elfenbein und Malachit. Seine Haut hatte die Blässe von Waldpilzen, und sein Albinohaar war geölt und zu einem strengen Pferdeschwanz zurückgebunden.
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