Der Barbar
ich eine andere Person gewesen. Ein völlig fremder Mensch, und wenn ich dich richtig verstanden habe, rechnest du mit weiteren Gefahren.«
»Du triffst den Nagel auf den Kopf.«
»Du rechnest nicht nur mit dem Barbaren?«
Ich nickte.
Plötzlich konnte sie lächeln. »Okay, Partner, dann sollten wir es durchziehen.«
Ihre Selbstsicherheit kam mir ein wenig geschauspielert vor, aber das machte mir nichts. Sie hatte ja Recht, uns blieb nichts anderes übrig, als voranzugehen.
Wenn ich sage, dass der Weg nach vorn führte, dann meinte ich damit die Pfähle, an denen die Menschen hingen. Wir konnten sie jetzt nicht übersehen, und Purdy musste einfach nach meiner Hand fassen, um sich daran festzuhalten.
Wir gingen langsam durch die warme Luft. Es war nicht stickig oder schwül, aber auch nicht so wunderbar warm wie bei den Flammenden Steinen. Hier gab es auch nicht die klare Luft, denn hier war alles anders. Viel dumpfer und staubiger. Dieser feine Staub lag überall. Deshalb kam uns die Umgebung auch so düster vor.
Unter unseren Füßen befand sich das harte Gestein. Wir sahen keinen einzigen Grashalm, keinen Busch, keine trockene Pflanze.
Je näher wir den Aufgespießten kamen, umso schauriger sahen sie aus. Der Wind wehte uns einen bestimmten Gestank entgegen, den ich von Friedhöfen her kannte, auf denen Ghouls lebten. Es stank nach Verwesung. Es war einfach widerlich. Automatisch atmeten wir nicht mehr so tief ein.
Purdy sprach mit gepresster Stimme. »Willst du dir die Toten genauer anschauen?«
»Ja, wenn möglich.«
»Gut.« Sie hob die Schultern. »Ich habe über sie nachgedacht. Meiner Meinung nach passen sie nicht hierher. Das Bild ist mir nicht neu. Ich habe es schon in Geschichtsbüchern gesehen. Es ist eine sehr alte Methode, wenn ich recht informiert bin. Dazu fällt mir Rumänien ein und...«
»Alles klar. Es gab einen Fürsten, der seine Feinde so hat töten lassen.«
»Das scheint dem Barbaren gefallen zu haben.«
»Wahrscheinlich.«
»Dann muss er es gesehen haben, John. Dann hat er es geschafft, die ganze Zeit über zu existieren. Da konnte er sich umschauen und die Entwicklung der Menschen verfolgen, ohne dass er selbst gesehen wurde oder eingegriffen hat. Mir kommt dabei ein Begriff in den Sinn, den ich kaum auszusprechen wage.«
»Tu es trotzdem.«
»Ist er unsterblich?«
Mit dieser Frage hatte ich nicht gerechnet. »Nein, daran glaube ich nicht. Weder ein Mensch noch eine Kreatur ist unsterblich. Es hat für ihn eine andere Möglichkeit gegeben, um zu überleben.«
»Welche denn?«
»Die Zeit, Purdy. Wir haben es in deiner Wohnung hautnah mitbekommen. Ich habe auf ihn geschossen. Ich habe ihn auch getroffen. Trotzdem ist er weder verletzt noch getötet worden. Das sollten wir uns immer vor Augen halten.«
»Und was bedeutet das genau?«
»Er kann mit den Zeiten spielen. Ich habe schon vieles akzeptieren müssen und werde das auch hier tun. Es ist möglich, dass er innerhalb einer Zeitblase existiert. Dass sie ihm all die Jahrtausende Schutz gegeben hat. Er war unterwegs. Er hat gesucht, und er hat dich gefunden. Er will dich zurückhaben. Im Gegensatz zu mir hat er sehr schnell gespürt, dass du schon einmal hier gelebt hast.« Ich zuckte mit den Schultern. »Mit dieser Erklärung sollten wir uns zunächst zufrieden geben.«
Purdy sah aus großen Augen an mir vorbei. Meine Worte beschäftigten sie stark. Auch wenn man näher darüber nachdachte, war es nicht leicht, sie zu glauben.
»Ich möchte dir gern Recht geben, John.«
»Es ist deine Sache.«
Sie winkte ab. »Okay, das stimmt. Es geht einzig und allein mich etwas an. Ich weiß auch, dass wir uns stellen müssen.« Sie schenkte mir ein Lächeln. »Ich werde versuchen, mich zusammenzureißen, und das wird auch gelingen.«
Ich war froh über Purdy’s Sinneswandel. Es gab eben immer wieder Situationen im Leben, auf die sich ein Mensch erst einstellen musste. Hier war sie besonders extrem.
Wir hatten uns den Getöteten so weit genähert, dass wir sie fast hätten greifen können. Ich wollte noch näher heran. Purdy aber blieb zurück. Sie schüttelte den Kopf, als ich vorging.
Vor dem Pfahl blieb ich stehen und schaute an ihm und zugleich an dem Körper hoch. Der Kopf und ein Teil des Oberkörpers waren nach vorn gesunken. Von meiner Position aus erwischte mein Blick genau das Gesicht der Gestalt.
Es sah schlimm aus. Nicht nur, dass die Haut zum Großteil verwest war, nein, das Schaurige daran waren die leeren
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