Der Baron und die widerspenstige Schöne
nach draußen ging. Doch sie hatte den Rat ignoriert und nur lachend gefragt, was ihr auf dem kurzen Weg zwischen Malberry Court und ihrem Elternhaus schon geschehen solle. Nun wusste sie es.
„Nein. Wenn Sie erlauben, gehe ich von hier ab allein weiter.“
Wie ein schwarzer Schatten ragte er im Dämmerlicht über ihr auf. Bei dem Gedanken, er würde versuchen, sie erneut zu küssen, setzte ihr Herz einen Schlag lang aus. Sie bezweifelte, dass sie stark genug war, sich ihm zu widersetzen, und mit Schrecken wurde ihr bewusst, dass sie das auch gar nicht wollte. Schließlich trat er einen Schritt zurück. Sie wusste nicht, ob sie enttäuscht oder erleichtert darüber war.
„Natürlich, wenn das Ihr Wunsch ist“, sagte er und ließ sich auf dem Zauntritt nieder. „Gehen Sie nur“, sagte er, als sie zögernd stehen blieb.
Sie hatte sich umgewandt und war die Straße hinuntergegangen. Ein prickelnder Schauer war ihr über den Rücken gelaufen, denn sie hatte geglaubt, seinen Blick auf sich ruhen zu spüren. Hinter der Biegung, als sie vor seinen Augen sicher war, hatte sie sich nicht länger zurückhalten können und war so schnell wie sie ihre Beine trugen nach Hause gelaufen …
„Ist dir nicht wohl, Liebes?“ Die Stimme ihrer Tante riss sie abrupt aus ihren Erinnerungen. Carlotta zwinkerte und ließ den Blick durch den überfüllten Ballsaal schweifen.
Ihre Tante betrachtete sie mit sorgenvollem Blick. „Bitte sag jetzt nicht, dass du Kopfschmerzen hast, wo der Abend doch so gut für dich läuft. Komm, Kindchen, dein nächster Tanzpartner wird bereits auf der Suche nach dir sein. Ach, ich freue mich für dich. Für alle Tänze, bis auf zwei, bist du vergeben. Für manche Debütantinnen, die neu in der Stadt sind, lässt es sich ja eher schwierig an, aber ich wusste, dass die Gentlemen reihenweise darum bitten würden, dir vorgestellt zu werden, wenn sie erst gesehen hätten, wie hervorragend du tanzt.“
„Hat auch Lord … Lord Darvell darum gebeten, mir vorgestellt zu werden, Tante?“ Carlotta bemühte sich, ihre Stimme beiläufig klingen zu lassen.
„Oh ja! Er kam geradewegs mit diesem Wunsch zu mir.“ Sie senkte die Stimme und sprach in vertraulichem Ton weiter: „Du sollst wissen, Carlotta, dass Darvell ein sehr stürmischer junger Mann ist, um nicht zu sagen, ein Schwerenöter.“
„Ich weiß, Tante, man hat es mir erzählt. Man nennt ihn den Sündhaften Baron.“
„Oh, nun, ich würde ihn nicht unbedingt als sündhaft bezeichnen“, beschwichtigte Lady Broxted. „Tatsächlich hat er sogar in den vergangenen Monaten zu keinerlei Klatsch Anlass gegeben. Doch sein Benehmen davor, als er noch dem Militär angehörte … Nun ja, es ziemt sich nicht, dass ich dir gegenüber näher darauf eingehe. Lass mich dir nur eines sagen, du solltest dich vor ihm in Acht nehmen, Liebes.“
„Wenn er gar so gefährlich ist, überrascht es mich doch sehr, dass du ihn mir überhaupt vorgestellt hast.“
Lady Broxted seufzte. „Nun ja, ich hätte auch lieber darauf verzichtet. Allerdings ist dein Onkel mit der Familie befreundet, deshalb wäre es höchst ungehörig, Lord Darvell zu schneiden. Wäre er nicht aus der Armee ausgetreten, würde sich dieses Problem nicht stellen. Vielleicht überlegt er ja, sesshaft zu werden.“ Sie tippte Carlotta mit ihrem Fächer auf den Arm. „Soweit ich weiß, besitzt er keinen Penny. Womöglich will er sich eine vermögende Gattin suchen. Sollte dies der Fall sein, ist es nicht auszuschließen, dass er dich umgarnen wird, Carlotta. Dein Onkel würde eine solche Verbindung jedoch sicher nicht gutheißen.“
Carlotta lachte auf. „Was das betrifft, musst du dir ganz gewiss keine Sorgen machen, Tante!“
„Gut. Wie dem auch sei, man kann nicht bestreiten, dass Lord Darvell ein charmanter, attraktiver Mann ist. Übrigens gehört Malberry Court seinem Bruder James. Ich sage dir dies nur, damit du auf deine Worte achtest und nicht durch eine unbedachte Bemerkung bekannt wird, in welcher Verbindung deine Familie zum Herrenhaus steht.“
Bis Lord Darvell sie zum vereinbarten Tanz abholte, hatte Carlotta beschlossen, sich ihm gegenüber kühl und unnahbar zu geben. Sie wollte Seine Lordschaft behandeln, als seien sie sich nie zuvor begegnet. Als er jedoch ihre Hand fest mit der seinen umschloss, wurde sie unvermittelt von einer Welle der Emotionen überschwappt. Sie hatte die Erinnerungen an diese ersten, langen dunklen Monate nach ihrer Abreise aus Malberry in den
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