Der Bastard und die Lady
brauchen wir uns nicht ständig umzusehen und zu fürchten, er könnte uns einholen. Ich würde sagen, der Plan ist genial, aber leider war es gar nicht geplant. Und wir sind viel später aufgebrochen, als ich gehofft hatte. Bald müssen wir irgendwo zum Abendessen und vielleicht auch zur Nacht einkehren.“
„Es war eine schöne Feier“, sagte Chelsea. „Alle wussten so wunderschöne Geschichten über die Marchioness. Aber worüber haben sich alle so aufgeregt, als wir die Kapelle betraten? Ihre Mutter schien aus der Haut fahren zu wollen, wie meine Zofe es nennen würde, bis Ihr Vater ihr etwas ins Ohr flüsterte. Danach ging es ihr anscheinend besser.
Vermutlich hat er ihr etwas versprochen, wenn sie davon absah, eine Szene zu machen, vielleicht neue Kostüme für die Truppe, dachte Beau gehässig. Seine Mutter hatte das Recht, verärgert zu sein. Glaubte er.
„Haben Sie die einzelne rote Rose auf dem Sarg gesehen?“
Chelsea nickte. „Ja. Da waren so viele Blumen, doch diese Rose trug eine schwarze Schleife. Abgesehen vom Kleid Ihrer Mutter war es das einzige Schwarze, was ich gesehen habe. Alle Anwesenden waren empört über eine Rose?“
„Nicht über die Blume an sich. Über ihre Bedeutung. Die Rose war von Jack. Er war dort gewesen. Wie ich ihn kenne, wahrscheinlich mitten in der Nacht.“
Chelsea verriss vor Überraschung die Zügel ihrer Stute und musste das Pferd schnellstens wieder unter Kontrolle bringen. Was sie sachkundig und mit fester Hand bewerkstelligte, zum Beweis, dass sie eine gute Reiterin war. Zu dem Schluss war Beau schon bei ihrem wilden Ritt fort von London gekommen.
„Soll das heißen, Ihr anderer Bruder war auf dem Grundstück, sogar in der Familienkapelle, hat sich aber nicht blicken lassen, niemanden begrüßt, seinem Vater nicht sein Beileid ausgesprochen, sondern sich einfach wieder fortgeschlichen?“
„Ja, so ungefähr. Ich würde sagen, mein Bruder ist ein Esel, aber wir alle lösen unsere Probleme auf unsere Art. Ich glaube, ich habe mein Leben im Griff, hauptsächlich deswegen, weil ich ein paar Jahre auf dem Kontinent gekämpft habe. Jetzt bin ich einigermaßen zufrieden damit, ein geruhsames Leben zu führen, die Besitztümer meines Vaters zu verwalten und gelegentlich London zu besuchen.“
„Um meinen Bruder zu quälen“, ergänzte Chelsea.
„Ich habe nicht behauptet, ich würde mich nicht von Zeit zu Zeit gern amüsieren“, erinnerte Beau sie, und sie verdrehte die Augen. „Puck jedenfalls schlachtet seinen Status als Bastard aus, das möchte ich beschwören. Kaum war Napoleon wieder hinter Gittern, hat Puck sich mit seiner vierteljährlichen Apanage nach Paris davongemacht, wo er, wie er behauptet, der Liebling der Pariser Gesellschaft ist. Es ist reiner Zufall, dass er sich zurzeit in England aufhält, und bald reist er wieder auf den Kontinent. Er stellt sich gern als Tunichtgut dar, als albern und unnütz, aber zufällig weiß ich, dass er insgeheim für unsere Regierung arbeitet.“
„Oh, schön. Ich mag ihn wirklich, und ich hätte ihn höchst ungern für einen von diesen gut gekleideten Nichtsnutzen gehalten, die nichts im Leben leisten. Aber was arbeitet er für die Regierung? Der Krieg ist doch endgültig vorbei, seit Bonaparte gefangen ist, oder?“
„Bonapartisten wird es immer geben, fürchte ich. Vergessen Sie nicht, sie haben ihn schon einmal befreit, und niemand hatte damit gerechnet. Aber ich stimme Ihnen zu. Irgendwann wird Puck nach Hause kommen und zu Hause bleiben müssen. Unser Vater hat ihm, kurz bevor er mich am Grosvenor Square besuchte, eines seiner Besitztümer überschrieben. Darüber ist er sehr verärgert.“
„Warum?“
Der Feldweg ging in eine Straße aus festgewalzten Steinen über. Sie konnten jetzt das Tempo erhöhen und vor Einbruch der Nacht das Dorf erreichen, das Beau für ihre erste Übernachtung vorgesehen hatte. Am nächsten Tag würden sie eine längere Strecke reiten und weniger reden, doch im Augenblick konnte er sich nicht zur Eile aufraffen, zumal er wusste, dass der Earl längst die Great North Road entlanghetzte.
„Ich weiß es nicht. Es war mein Geburtstag, und wir haben auf diesen Anlass getrunken und über unser Leben geredet. Puck hat mich außerdem wissen lassen, dass Papa meinen Besuch auf Blackthorn wünschte, bevor ich aufbrechen würde, um die anderen Besitztümer zu inspizieren. Das war vor seiner Nachricht mein Plan gewesen – und bevor eine gewisse junge Lady in meinen Salon
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