Der Bastard von Tolosa / Roman
Ghalibs Hufe ins Wasser der ablaufenden Wellen hämmerten. Das Salz der Gischt mischte sich auf meinen Lippen mit dem süßen Regen, den mir der Sturm ins Gesicht trieb.
Nach einer Weile hatte sich der Hengst ausgetollt und verfiel in eine langsamere Gangart. Wir näherten uns einem Fischerdörfchen von nur wenigen Hütten. Bei dem aufgewühlten Meer hatte man die Boote auf den Strand gezogen. Die Fischer saßen untätig unter dem Strohdach einer Hütte und tranken aus kleinen, irdenen Tassen. Ich stieg vom Pferd. Ehrerbietig erwiderten sie meinen Gruß, und auf mein Zeichen, ob ich mich setzen dürfe, rückten sie mir einen Schemel unter dem Dach zurecht. Einer der Fischer hielt mir eine Tasse hin und füllte sie mit einem heißen Aufguss. Minze mit Honig gesüßt, wärmend und erfrischend zugleich.
Ich blickte aufs Meer hinaus.
Die sturmgetriebenen Wellen eilten grau-grün heran, brachen donnernd unter weißem Gischtnebel und hauchten ihren Atem auf dem weiten Strand aus. Dann zog sich das abfließende Wasser ins Meer zurück, der nächsten Welle entgegen. Ein tosender Rhythmus ohne Ende. Ab und an blieb etwas am Strand zurück, wurde wieder ins Meer gesaugt und von der nächsten Welle ein wenig weiter hinaufgespült, etwas Seetang, ein Stückchen Holz. So bildete sich ein dunkler Rand von Treibgut. Darunter auch größere Stücke, wie der halb im Sand vergrabene, verdorrte Ast eines Baumes, eine morsche Schiffsplanke, ein Fetzen Fischernetz, sogar ein toter Hund, an dem die Möwen pickten und zerrten.
War ich nicht selbst wie dieses Strandgut, unter Tausenden herangetragen von Papst Urbans gewaltiger Woge der Leidenschaften, an diese ferne Küste gespült und an der Hochwasserkante zurückgelassen?
Zwar hatten die Erfolge uns in den Augen der Christenheit zu Helden gemacht, so dass viele kamen, uns nachzueifern, in immer neuen Wellen, wie diese hier, die sich an den Strand warfen. Aber sie verschwanden ebenso bald auch wieder. Von denen, die von Anfang an dabei gewesen waren, gab es nicht mehr viele. Männer wie ich, Arnaud oder Guilhem waren als Treibgut des Lebens zurückgeblieben, weil da nichts war, zu dem es sich lohnte heimzukehren. Das war doch die bittere Wahrheit. Guilhem winkte immer ab, wenn man von zu Hause sprach, und erzählte lieber von seinen Abenteuern in Schenken und Hurenhäusern. Oder Raimon Pilet, den sein Vater enterbt hatte. Arnaud, ein Bauernsohn und Söldner aus der Normandie. Wir waren der Überschuss des Westens. Söhne ohne Erbe, Männer ohne Familie, Verfolgte oder Verdammte. Und bei den Fürsten war es nicht anders. Noura hatte recht gehabt. Auch sie Abenteurer ohne Heimat.
Ich sah mich um.
Die Fischer sprachen mich nicht an, außer, dass sie gelegentlich scheu lächelten, wenn sich unsere Blicke trafen. Was hätten wir auch miteinander reden sollen, da ich ihre Sprache nicht verstand. Sie sahen wie ich aufs Meer hinaus und hofften auf besseres Wetter, aber ganz ohne Ungeduld. Im Gegenteil, sie warteten in lächelnder Gleichmut. Der Sturm würde irgendwann abflauen, sie würden die Boote ins Meer ziehen und ihre Netze werfen, so wie immer. Ihre Haut war wie braunes, gegerbtes Leder. Die Älteren hatten tiefe Furchen im Gesicht. Aber es waren ruhige Gesichter und das Dorf ein Ort der Besinnung.
Ich begann, nochmals über Odos Brief nachzudenken. Die Familie bedürfe meines Schutzes, hatte er geschrieben. Das war der Satz, der mir am meisten zu schaffen machte. Was, zum Teufel, hatte er gemeint? Ich zog das Stück Pergament aus meiner Gürteltasche und starrte auf die Schrift, die ich nicht lesen konnte, außer ein paar Buchstaben hier und da. War die Familie wirklich in Gefahr? Oder war es nur ein Trick, um mich heimzulocken? Menschen zu beeinflussen und seinen Willen durchzusetzen, darin war der alte Kirchenfürst aus Narbona immer Meister gewesen.
Er selbst brauchte meinen Schutz gewiss nicht. Das Erzbistum war mächtig, und Odo konnte ein kleines Heer ins Feld führen, wenn er dessen bedurfte. Außerdem verfügte er über einen Rosenkranz von Burgen und Wehrtürmen im ganzen Land. Nein, Odo brauchte mich nicht. Cecilia vielleicht? Aber auch um meine Mutter musste man sich keine Sorgen machen. Auf Rocafort hungerte niemand. Cecilia war immer die umsichtige Herrin gewesen, hatte Aussaat und Ernten mit Geschick beaufsichtigt. Sie hatte eine gute Hand mit Bauern und Gesinde, und außerdem gab es genug Kriegsknechte auf der Burg, um unser Land vor Übergriffen zu schützen.
Und
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