Der Bastard von Tolosa / Roman
denn Bertran hörte mir gar nicht mehr zu und schien weit weg in Gedanken zu sein. Er saß nur da, schaute aus dem Fenster und grübelte. Draußen hörte man die heiseren Befehle des Wachwechsels. Dann war es wieder still. Nach einer ganzen Weile, ich wurde schon unruhig, blickte er mich an und grinste wie ein Lausbub. »Vielleicht ist es sogar sehr gut so, Jaufré. Denn ich bin immer noch der Graf von Tolosa, wie du weißt.«
Per deable,
was führte er da im Schilde?
»Elvira, meine gute Stiefmutter …« Hier musste er lachen. »Grins nicht! Ich weiß, sie ist jünger als ich, dennoch ist sie meine Stiefmutter! Also Elvira, auf Verlangen der großen Familien, die Alfons für den rechtmäßigen Erben halten, ist jetzt Gebieterin von Tolosa. Jedenfalls mische ich mich daheim nicht mehr ein. Das war die Vereinbarung mit diesen untreuen Bastarden, der Teufel möge ihre Seelen holen! Aber es hat sie auch teuer gekostet. In Schulden haben sie sich gestürzt, mir das Gold für mein Heer zu beschaffen. Dein teurer Oheim ebenso. Alles in der Hoffnung, sich unter einer schwachen Herrscherin am Leichnam Tolosas zu bereichern. Elendes Pack!«
»Odo will sich bereichern?«
»Nein. Er hat andere Absichten, vermute ich.«
Er starrte mich einen Augenblick auf seltsame Weise an, als könne ich durch meine Verwandtschaft Einsichten in die geheimen Absichten des Erzbischofs von Narbona haben.
»Die Sache ist noch nicht ausgestanden«, fuhr er fort, als ich ihn verständnislos ansah und die Schultern hob, »und vielleicht gibt es darüber wieder Krieg.«
»Über die Erbfolge von Tolosa?«
»Ich nenne nur einen Namen«, nickte er. »Felipa!«
»Die Herzogin von Aquitania.«
»
Certas!
Sie wartet nur auf die nächste Gelegenheit.«
»Elvira und Felipa«, scherzte ich. »Welche von beiden kratzt wohl der anderen zuerst die Augen aus?«
Bertran lachte herzlich. »Gegen die Duguessa Felipa würde ich ungern wetten. Nicht viel älter als dreißig, aber ein unerbittliches Weib, eine von Ehrgeiz zerfressene Giftschlange. Sie wird nicht aufgeben, denn es geht um die Frage, wem das Recht des
primogenitus,
des Erstgeborenen, gebührt. Felipa, Alfons oder mir.«
»Ich dachte, das sei entschieden.«
»Nichts ist entschieden. Denn Felipa meint, Tolosa gehöre ihr, und mein Vater habe es ihr gestohlen. Und darin hat sie nicht einmal so unrecht. Und was mich betrifft, sie behandeln mich als Bastard, obwohl ich Raimons Erstgeborener bin und jeder weiß, dass die Verstoßung meiner Mutter damals reine Willkür war. Deshalb haben sie mir den Titel gelassen, und der kleine Alfons erbt ihn erst nach meinem Tod.« Er starrte aus dem Fenster. »Die Lage ist verwickelt und hat alle Zutaten für einen Streit, der Generationen andauern könnte.«
Plötzlich schien er einen Entschluss gefasst zu haben.
»Ich lasse dich ziehen, Jaufré, aber du bleibst weiter in meinen Diensten. Kümmere dich zuerst um deinen Sohn. Doch dann, vielleicht ab dem Spätsommer, wirst du etwas für mich tun. Ich brauche deine Hilfe.«
»Nichts ist mir lieber!«, beeilte ich mich ihm zu versichern.
»Natürlich habe ich noch Anhänger in Tolosa. Aber sie sind alle bekannt. Dich jedoch kennt niemand.« Er sah mir direkt in die Augen. »Was hältst du davon, durch das Land zu reisen, Augen und Ohren offen zu halten und mir gelegentlich zu berichten, wie die Dinge stehen? Es ist wichtig, dass ich weiß, was vor sich geht. Das Blatt könnte sich rasch wenden.«
»Aber ich bin kein Schreiber.«
»Was macht das? Hol dir einen vertrauenswürdigen
scriptor.
Einen Mönch, der den Mund halten kann. Ich werde dir Empfehlungen mitgeben. Besuche Tolosa, rede mit Leuten von Stand. Aber ohne Verdacht zu erregen, dass du mein Mann bist.« Er schien sich an dieser Vorstellung zu erwärmen. »Ich will die Stimmung erfahren, verstehst du? Wie klug Elvira regiert. Vielleicht sind die Barone ihrer schon überdrüssig. Besuch die wichtigsten Grafschaften, Narbona, Albi, Roergue, Cerdanha. Nicht zu vergessen Montpelher. Na, du weißt schon. Und beobachte die großen Adelshäuser. Was sie tun, wen sie befehden und mit wem sie sich verbünden. Die Trencavels, Auriacs und andere. Besonders auch die Borcelencs.«
»Borcelencs?«
Hatte er den Namen nicht schon einmal erwähnt? In diesem Augenblick konnte ich es noch nicht wissen, aber schon bald sollte ich dieser vermaledeiten Brut die Pestilenz an den Hals wünschen.
»Sie sind keines der großen Geschlechter«, erläuterte Bertran,
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