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Der Bastard von Tolosa / Roman

Der Bastard von Tolosa / Roman

Titel: Der Bastard von Tolosa / Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulf Schiewe
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Alten nichts anderes als Gebirge bedeutet. Wir änderten den Kurs nach Nordwest und folgten der Küste. Trotz des Überfalls auf See hatten wir im Ganzen eine gute Reise gehabt und die lange Strecke von Outremer in nicht mehr als fünf Wochen hinter uns bringen können. Der Landweg hätte gewiss vier oder fünf Monate gedauert.
    »Der Gedanke an die Ankunft ließ uns die Seeräuber schnell vergessen. Jeder von uns verbrachte die letzten Stunden der Reise in einem aufgewühlten Hochgefühl angespannter Erwartung. Es war Ende Mai, und unsere Ankunft fiel in die schönste Zeit des Jahres. Mit Glück würden die Berghänge der Corbieras noch blühen und sich meiner Adela in den herrlichsten Farben zeigen.«
    Die Küste war nun flacher geworden. Ein Sandstrand reihte sich an den anderen. Dahinter ließen sich im Dunst der Entfernung die blauen Umrisse von Hügeln und Bergen erkennen. Das mussten die Höhen der Corbieras sein. Meine Heimat lag zum Greifen nahe.
    Schließlich, die Sonne stand schon über den fernen Bergen des Hinterlandes, näherten wir uns endlich der Mündung des Flusses Aude. Mit Herzklopfen konnte ich weit hinter den vorgelagerten Stränden die vom Meer aus noch winzigen Mauern und Dächer der Stadt ausmachen. Selbst aus dieser Entfernung war die Kathedrale unverkennbar, in wuchtiger, römischer Bauweise errichtet. Daneben ein mächtiger Festungsturm, der Palast des Erzbischofs. Endlich waren wir angekommen.
    »Narbona muss riesig sein«, sagte Aimar.
    »Wer Orte wie Konstantinopel, Antiochia und Jerusalem kennt, dem kommt Narbona klein und beengt vor. Die Gassen sind verwinkelt, die Plätze winzig. Aber du hast recht, die Stadt ist schon seit der Römerzeit der wichtigste Ort der Gegend.«
    In der Tat, die Vergangenheit Narbonas ist nicht zu leugnen. Römische Ruinen werden gern als Steinbruch benutzt, und so finden sich Teile einer Villa oder eines Tempels in den Häusern wieder. Selbst die Stadtmauer enthält solche Bruchstücke, Teile eines Tempelfrieses oder marmorne Platten mit fein gemeißelten Inschriften, die man aus den Grabmälern reicher Familien gebrochen hat. Es ist, als sehe man durch kleine Gucklöcher immer nur Ausschnitte der römischen Welt, ohne jemals das Ganze zu erkennen.
    »Narbona ist vor allem eine Handelsstadt«, sagte ich. »Der Fluss und die alte Via Domitia sind die Adern, auf denen die Güter der Welt befördert werden, um ihren unersättlichen Durst nach Waren zu stillen. Dieser Lage verdankt die Stadt ihren Wohlstand.«
    Olivenöl von den Landgütern der Adligen, Salz, das auf den flachen Stränden gewonnen wird, Tuch aus der Schafwolle des Umlands, Waffen aus Carcassona, Zinn aus Britannien, Bernstein aus dem Norden, Gewürze, Purpur und Seide aus dem Osten. Und obwohl wir mit den spanischen Sarazenen oft im Krieg liegen, scheint dies Narbona wenig zu kümmern, denn maurische Waren sind begehrt.
    »In Narbona wird mit allem gehandelt, was irgendwie käuflich ist, und sei es die Ehre eines Abtes. Die Stadt ist nichts als eine Hure.« Ich lachte und füllte meinen Becher. »Zum Glück bleibt die vornehmste Ware immer noch der Wein, den wir und andere Güter liefern. Man sagt, in uralten Zeiten, als römische Händler Unmengen unseres feurigen Weins nach Rom verschifften, sei die Stadt noch viel wohlhabender gewesen. Kein Fest reicher Römer ohne den erlesenen Wein aus
Gallia Narbonensis.
« Ich hob meinen Becher. »Trink, Bruder
Aimar, denn nicht umsonst heißt es, ein Provenzale kann sich schwer entscheiden, was er mehr liebt, ein schnelles Pferd, eine schöne Frau oder einen guten Wein.«
    Da musste selbst mein frommer Mönch grinsen.
    »Und wem das Alter die Freuden der Liebe nimmt, mein Junge, dem bleibt, Dank sei dem Herrn, immer noch ein guter Tropfen.«

[home]
Die Heimkehr
    Im Monat April, einundzwanzig Jahre früher, im elften Jahr nach der Befreiung des Heiligen Grabes zu Jerusalem, Anno Domini 1110

Die alte Römerstadt
    Sanctus Urbanus, Patron des Weines und der Weinberge, beschützt vor Trunkenheit und Gicht
    Quarta Feria, 25. Tag des Monats Mai
    D eine Mutter ist tot.«
    Die harschen Worte trafen mich wie ein Keulenschlag. Dabei funkelten mich seine wässrigen Greisenaugen angriffslustig an. Dünn und nach vorn gebeugt, hockte er auf dem mit reichen Schnitzereien versehenen Thronstuhl seines Amtes, seine knochigen Hände, auf denen die blauen Adern hervortraten, hielten die Armlehnen umkrallt. Dünne Fäden weißen Haares lugten unter dem

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