Der Bastard von Tolosa / Roman
bei deinem Leben, beim Haupte deiner Mutter und bei allen Heiligen zu schwören?«
Er holte tief Luft, aber sah mich fest an. »Das bin ich, Herr!«
»Also gut. Berichten sollst du nur meinem Sohn Raol. Oder einem anderen nächsten Erben, wie zum Beispiel meinem Enkel Arnaut, aber nicht vor seinem fünfundzwanzigsten Lebensjahr und nur falls er Oberhaupt der
familia
wird. Auch dann nur, wenn du ihn für würdig hältst und es der
familia
nicht schaden kann.«
»Ich schwöre es«, sagte er feierlich.
»Warte!«, rief ich und ging zu meiner Truhe, in der ich eine Weile kramte. Aimar machte große Augen, als ich das kostbare Buch auf den Tisch legte.
»Die Bibel meines Onkels.« Ich nahm seine Hand und legte sie darauf. »Jetzt schwöre bei Gott, unserem Herrn, und allem, was dir heilig ist!«
»Ich schwöre!«
»Sag, deine Seele soll auf alle Ewigkeit verdammt sein, wenn du diesen Schwur brichst!«
Das musste ihn erschreckt haben, dennoch sprach er mir tapfer nach. »Breche ich den Schwur, so soll meine Seele auf immer verdammt sein.«
»Gut!«, erwiderte ich befriedigt. »So soll es sein.«
Aimar setzte sich aufrecht hin und strich seine Kutte glatt. Ich sah, dass ihn der Schwur verunsichert hatte. Doch das legte sich rasch, denn bald öffnete er mit Andacht den schweren ledernen Einband der Bibel und bewunderte die gestochen scharfe Kalligraphie und die mit Blattgold hinterlegten, farbigen Illuminationen. Seine Lippen bewegten sich, als er die lateinischen Worte las.
»In Monisat befinden sich noch viele von Odos Büchern. Eines Tages wirst du sie lesen dürfen«, sagte ich. »Jetzt haben wir anderes vor.«
Widerstrebend schloss er den Buchdeckel. »Wie weiß ich, ob es der Familie schadet oder nicht?«, fragte er.
»Was?«
»Ihr sagtet, ich dürfe es nur weitersagen, wenn es keinen Schaden anrichten kann.«
»Wenn du alles von mir erfahren hast, wirst du es wissen. Dein Verstand wird es dir sagen.« Er runzelte die Stirn und schaute etwas unsicher drein. »Jetzt, da du auf die Bibel geschworen hast, bist du Mitglied unserer
familia.
Wir werden uns fortan um dich kümmern. Es soll dir an nichts fehlen. Und im Gegenzug wirst auch du dich um die
familia
sorgen. Ihr Schicksal ist dein Schicksal. Ist das klar?«
Er machte große Augen, als er begriff, dass dies sein Leben verändern würde. »Ja, Herr!«
»Von nun an gehörst du zu denen von Rocafort!«
»Verstanden, Herr!«, wiederholte er, und dann murmelte er mit einem schüchternen Lächeln: »Ich danke Euch, Herr.«
Was für Unschuldsaugen er doch hatte! Und noch so junge Schultern für diese Bürde. Aber mit Gottes Hilfe würde er daran wachsen.
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Kampf um Rocafort
Im Monat Juni, einundzwanzig Jahre früher, im elften Jahr nach der Befreiung des Heiligen Grabes zu Jerusalem, Anno Domini 1110
Warten auf den Sturm
Sanctus Medardus, Patron der Bauern, sorgt für trockenes Heuwetter und gute Ernte
Quarta Feria, 8. Tag des Monats Juni
M einen Sohn Raol hatte Robert mit List auf seine Seite gebracht, und Rocafort war sein nächstes Ziel. Was immer seine Gründe waren, er würde kommen und die Übergabe der Burg verlangen, wenn nötig mit Gewalt. Die Frage war nur, wie viele Bewaffnete er unter seinem Banner vereinigen konnte und wie bald er sich zeigen würde. Vermutlich brauchte er Zeit, um genug
soudadiers
für eine Belagerung zu sammeln. Lange würde er aber nicht auf sich warten lassen.
Berta war bleich geworden, als ich ihr beibrachte, dass Krieg unausweichlich war. Was soll aus uns werden, fragte sie mit zitternder Stimme, und einen Augenblick lang überlegte sie ernsthaft, ob es nicht besser sei, ihm Rocafort zu überlassen und uns auf einen der Höfe zurückzuziehen. Doch als sie mein Gesicht sah, sprach sie nicht mehr davon.
»Wir müssen uns eiligst auf Kampf vorbereiten«, sagte ich.
»Aber es ist nicht rechtens!«, erwiderte sie verzweifelt. »Dein Lehnsherr muss uns schützen!«
»Mein Lehnsherr ist Bertran in Tripolis. Wie soll der uns helfen? Ich könnte mich an Elvira wenden. Aber sie ist in Tolosa, und das ist weit. Außerdem wäre sie uns nicht unbedingt wohlgesinnt. Sie und Bertran sind nicht die besten Freunde.«
»An wen können wir uns denn sonst wenden?«
»Odo.«
»Ein Kirchenmann? Was kann der schon bewirken?«
»Das Erzbistum hat Burgen und Männer unter Waffen. Ich werde einen Boten zu ihm schicken.«
Sie war nicht überzeugt. »Und Graf Aimeric von Narbona?«
»Welchen Grund hätte er, uns zu helfen?«
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