Der Bastard von Tolosa / Roman
annahm.
»Rosa ist nicht hier? Wo, zum Teufel, ist sie denn?«, fragte ich. Am Morgen hatte die Magd uns noch das Morgenmahl gebracht, und ich hatte gescherzt, dass sie froh sein müsse, ihren Gustau nun jede Nacht auf der Burg zu haben. Trotz hochroter Wangen hatte sie mir ein Lächeln geschenkt, so allerliebst, dass man nicht übel Lust hatte, sich selbst in das hübsche Mädel zu verlieben. Das hatte ich ihr natürlich nicht gesagt.
»Sie wollte zu ihren Eltern, um nach dem Rechten zu sehen«, ließ Berta sich vernehmen. »Nur ein paar Tage.«
»Was ist nur mit euch Weibern los«, polterte ich. »Diese Magdalena muss man anbinden, sonst läuft sie weg, Joana verschwindet ohne ein Wort im Wald und nun Rosa. Ist euch nicht klar, dass Roberts Schlächter jeden Augenblick auftauchen können? Was denkt ihr, machen die mit Frauen, die allein in der Gegend herumwandern?«
Berta antwortete nicht, sah mich nur lange ernst und mit unbeweglicher Miene an, bis sich plötzlich ihre Augen mit Tränen füllten. Eine lief die Wange hinunter und tropfte auf den Teller. Ein Schluchzen, halb unterdrückt, entrang sich ihrer Brust, und ihr Mund verzerrte sich in Gram. Dann schlug sie die Hand vors Gesicht. Herrgott, was hatte ich denn so Schlimmes gesagt?
»Es ist doch nur, dass man sich Sorgen macht«, murmelte ich bestürzt.
»Ich weiß, Jaufré«, flüsterte sie, und noch mehr Tränen netzten ihr Gesicht. »Ich denke nur immerzu an Raol.« Sie nahm ein Leinentuch von der Tafel und trocknete sich die Augen. »Wo steckt er nur? Ich hoffe, es geht ihm gut.« Da wurde sie wieder von heftigem Schluchzen geschüttelt, stand auf und verließ fluchtartig die
aula.
Adela war ebenfalls auf den Beinen, warf mir einen vorwurfsvollen Blick zu und folgte ihr.
Wir anderen sahen uns betreten an, während Cortesa schweigend abräumte. Martin räusperte sich, und die Angst stand in seinen Augen. »Mutter sagt, Raol ist jetzt Roberts Geisel.«
Er schluckte und sah hundsunglücklich aus. Ich glaube, er gab sich selbst die Schuld, weil er Raols Flucht hätte verhindern können.
»Werden sie ihn foltern?«, flüsterte er und bekam nun ebenfalls feuchte Augen. Um seinen Mund zuckte es verdächtig.
Hamid kam mir zu Hilfe und sprach zu ihm wie zu einem Erwachsenen. »Wir wissen nicht genau, was Robert am Ende vorhat, Martin. Eines aber ist sicher, mit Raol hat er andere Pläne, als eine Burg zu erpressen. Irgendetwas soll dein Bruder für ihn tun. Was genau, wissen wir nicht, aber er verwöhnt und beschenkt ihn, um ihn bei guter Laune zu halten. Ich bin mir sicher, Raol wird es nicht einmal erfahren, wenn sie uns hier angreifen. Sie werden es ihm verheimlichen.«
»Raol ist in größerer Sicherheit als wir, glaub mir«, sagte ich und nahm Martins Hand in meine. »Und es ist nicht deine Schuld, dass er fortgeritten ist.«
Martin sah mich stumm an, als wolle er mir gern glauben. Er wischte sich die Nase am Ärmel ab. Ich strich ihm durchs Haar und grinste aufmunternd, doch innerlich verfluchte ich diesen Borcelencs.
Joanas Beichte
Sanctus Gervasius, Patron der Kinder und Heuarbeiter, beschützt vor Diebstahl, Harn- und Blutfluss
Dominica, 19. Tag des Monats Juni
I ch sah mich durch eine fruchtbare, von flachen Hügeln gerahmte Ebene wandern, licht- und sonnenüberflutet, nach reifer Sommerwiese duftend. Meine Hand streifte Grasähren und blaue Feldblumen. In der Ferne schimmerte ein See, oder war es das Meer? Auf einer kleinen Anhöhe winkte mir eine blonde Frau zu, die auf einem Stein saß. Zu meinem Erstaunen war sie nackt und ihr Leib von solcher Schönheit, dass es mir den Atem verschlug.
Ich lachte und begann zu laufen, um mich zu ihr zu gesellen. Aber da verwandelten die Halme sich mehr und mehr in menschliche Gerippe, die sich im Sommerwind wiegten. Immer höher stiegen sie aus dem Boden, immer schwerer war es, mich durch sie hindurchzuzwängen. Ich versuchte, schneller zu laufen, doch die blonde Frau entfernte sich von mir. Dabei hörte sie nicht auf zu lachen. Ich stolperte über bleiche Schädel und Berge von Gebein. Knochenarme wanden sich seltsam schlangengleich um meine Schenkel und Knie. Und es erhob sich ein schauerlicher Gesang, wie aus einer dunklen Höhle. Jaufré, rief eine Mädchenstimme, und jedes Mal, wenn sie rief, schwoll der Chor der Toten an, so unerträglich, dass ich mir die Ohren zuhielt. Plötzlich stand Noura vor mir und lächelte geheimnisvoll. Ich war froh, sie zu sehen, aber als ich sie bei der Hand nehmen
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