Der Bastard von Tolosa / Roman
überraschen konnten. Beim nächsten Mal wird es anders sein. Sie wissen nun, was sie erwartet, und sie werden ihre Angriffsweise überdenken. Nun geht es erst richtig los, und wir müssen wachsam sein.«
***
An diesem Tag geschah nichts weiter.
Der Feind schien seine Wunden zu lecken. Wir sahen
pezos
mit notdürftigen Verbänden durchs Lager humpeln. Im weichen Wiesengrund wurde am Waldrand eine Grube für die Leichen ausgehoben, die sie während des Angriffs hatten bergen können. Sonst tat sich nichts in ihrem Lager.
Einer der gefallenen Leitermänner vor dem Burgtor lebte noch, konnte sich jedoch kaum bewegen, denn er war schwer verwundet. Er schrie um Hilfe und später auch nach Wasser und dies ohne Unterlass den ganzen Nachmittag lang. In der Hitze der prallen Sonne musste er Höllenqualen leiden. Roberts Leute holten ihn nicht, wahrscheinlich aus Angst vor unseren Pfeilen.
Das Geschrei wurde bald unerträglich und zerrte an jedermanns Nerven. Joana bat mich unter Tränen, ihm endlich zu helfen oder zumindest jemanden zu schicken, um ihm den Gnadentod zu geben. Doch ich weigerte mich, auch wenn sie mich dafür hasste. Denn waren seine Hilferufe schon für uns schwer zu ertragen, dann umso mehr für seine Kameraden. Jeder der herzzerreißenden Schreie würde ihre Entschlossenheit auf die Probe stellen. Die
pezos
waren Söldner, die für Geld kämpften und nicht unbedingt, um zu sterben. Ich wollte ihnen den Mut nehmen. Sie sollten darüber nachdenken, ob es sich lohnte, vor dieser Burg ihr Leben zu lassen.
»Rocafort ist uneinnehmbar«, behauptete Martin großspurig.
Wir saßen nach dem einfachen Abendmahl noch in der
aula,
Hamid, Brun, Gustau und ein paar andere der Kriegsknechte. Ein Gutteil meiner kleinen Truppe stand Wache auf den Wehrgängen, die anderen schliefen auf Vorrat. Das Weibervolk hatte sich zurückgezogen. Vielleicht ertrugen sie nicht das Wehklagen des armen Teufels vor der Burg, obwohl er sich immer seltener und mit zunehmend schwächerer Stimme hören ließ. Bald würden ihm die Raben zusetzen.
»Das stimmt doch, Vater, oder?«, hob Martin von neuem an. Er zuckte jedes Mal ein wenig zusammen, wenn der Sterbende sich vernehmen ließ, versuchte aber tapfer, keine Miene zu verziehen. Ich fand, er war alt genug, die Wahrheit zu hören.
»Keine Burg, keine Stadt ist uneinnehmbar«, sagte ich. »Es ist nur eine Frage der Zeit und der Hilfsmittel, die ein Angreifer zur Verfügung hat. Eine gut geführte Festung in vorteilhafter Lage kann es ihm aber schwermachen. Das ist unsere Aufgabe.«
Darüber dachte er nach.
Es war ein angenehmer Abend und die Luft milde. Die Sonne hatte sich hinter den Bergen verkrochen, und über den Zinnen und dem Burghof schwirrten große Schwärme von Schwalben in der lauen Dämmerung, um sich ihr Abendmahl zu erjagen. Eine friedliche Stimmung umgab uns, und nichts deutete darauf hin, dass im Wiesengrund ein feindlicher Heerhaufen lagerte. Nur das gelegentliche Stöhnen des zu Tode Verwundeten erinnerte an unsere heikle Lage.
Martin hatte eine Weile geschwiegen, aber nun bohrte er weiter. Wie sollte es denn überhaupt möglich sein, Rocafort einzunehmen, wollte er wissen. Hatten wir sie heute nicht mit Leichtigkeit zurückgeschlagen?
»Je nach Beschaffenheit einer Festung gibt es unterschiedliche Möglichkeiten«, erklärte ich ihm. »Natürlich versuchen die Verteidiger, alle Schwachstellen auszuschließen, aber das gelingt nicht immer.« Ich merkte, ich hatte seine Zuversicht erschüttert. »Ich will dir keine Angst machen, Martin, doch Überheblichkeit hilft uns wenig. Wir müssen voraussehen, was der Feind als Nächstes vorhat, und ihn darin hindern.«
Er nickte ernst. »Und wo sind unsere Schwächen?«
»Zum einen müssen wir Leiterangriffe fürchten, das hast du heute gesehen. Aber ich glaube, dagegen sind wir ganz gut gerüstet. Feuer stellt auch eine gewisse Gefahr dar. Doch es scheint, Robert will die Burg unversehrt erobern. Unser wirklicher Feind ist Mangel an Wasser und Nahrung. Sollte sich die Belagerung über viele Monde hinziehen, dann müssten wir irgendwann aufgeben.«
Plötzlich grinste er mich herausfordernd an. »Aber du hast doch sicher einen guten Plan, wie du Robert besiegen kannst, oder?«
Der Junge schien grenzenloses Vertrauen in mich zu haben. Hamid lachte, als er merkte, dass es mir für einen Augenblick die Sprache verschlagen hatte.
»Dein Vater behält seine Pläne für sich«, erklärte er ihm mit ernster Miene. »Nicht
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