Der Bastard von Tolosa / Roman
»Während er in den Osten zog, war ich gut genug, ihm den Rücken freizuhalten. Ich musste für ihn Stellung beziehen, die Barone in Schach halten und immer mehr Abgaben aus ihnen herauspressen, um sein Heer zu bezahlen.« Bei diesen Worten hatte sich sein Gesicht verfinstert. »Das trug nicht zu meiner Beliebtheit bei. Tolosa ist reich, aber es gibt Grenzen. Und dann setzt der Alte mir auch noch dieses Balg vor die Nase. Als wolle er mir aus seinem verdammten Grab heraus die lange Nase zeigen.«
Diese Worte hatte er mit großer Verbitterung ausgesprochen. Es hatte im Heer die Runde gemacht, dass daheim die Barone Alfons Jordans Anspruch auf Tolosa unterstützt hatten. Man hatte einen Kuhhandel getroffen. Bertran sollte sich nach Tripolis zurückziehen, durfte aber den Grafentitel bis an sein Lebensende behalten, während Alfons Tolosa bekam, das bis zu seiner Mündigkeit von seiner Mutter regiert würde.
»Und so sitze ich hier auf diesem elenden Mons Pelegrinus wie ein Verbannter.« Er zerbrach einen trockenen Ast und warf die Stücke ins Feuer, dass die Funken flogen.
»Wie ein Verbannter?«, fragte ich erstaunt. Ein Anführer, der sich betrogen fühlte und den fetten Tagen in Tolosa nachjammerte, den konnten wir hier wahrhaftig nicht gebrauchen.
Er musste den gereizten Ton in meiner Stimme bemerkt haben.
»Ach, dummes Geschwätz! Vergesst, was ich gesagt habe.« Er rückte ein wenig näher, und seine Stimme nahm einen vertraulichen Ton an. »Ich wollte Euch vor allem danken, dass Ihr heute mein Leben gerettet habt.«
»Das ist meine Pflicht,
dominus.
«
»Pflicht!« Er spuckte einen Dattelkern verächtlich ins Feuer. »Wer tut schon was aus Pflichtgefühl?«
»Ein Treueschwur ist keine Kleinigkeit!«, sagte ich unwirsch. Hatte ich nicht geschworen, sein Leib und Leben gegen jeden zu verteidigen? Wie konnte er das so leichtfertig abtun.
»Natürlich.« Meine Verstimmung war ihm nicht verborgen geblieben. »Aber Ihr hättet einfach ein paar Reiter zu meiner Hilfe ordern können. Auch das hätte Eure Pflicht erfüllt. Doch ohne Zögern habt Ihr Euer eigenes Leben für mich eingesetzt. Ich frage jetzt, warum?«
»Es war keine Zeit zu verlieren.« Worauf,
deable,
wollte er hinaus?
»Genug Zeit, Eure eigene Haut zu retten, meine ich.« Er sah mich forschend an. Dann lachte er. »Ich sehe, ich verwirre Euch.«
Er steckte sich noch eine Dattel zwischen die Zähne. »In meiner Welt geschieht wenig ohne Berechnung, Jaufré. Deshalb wird es zur Gewohnheit, sich Gedanken zu machen, was einen Mann, mit dem man es zu tun hat, bewegt, was ihn antreibt, welche Ziele er verfolgt.« Ich musste ihn verständnislos angestarrt haben, denn er grinste verlegen. »Na, Euch zum Beispiel. Was ist Euer Ehrgeiz, Montalban?« Dabei schaute er mich listig an und wartete auf eine Antwort.
Warum ging er nicht einfach schlafen, anstatt mich mit diesem Gerede von der Nachtruhe abzuhalten, dachte ich gereizt. »Was soll Euch das bedeuten, Herr? Ich bin nur ein einfacher Soldat.«
»So«, sagte er. »Ein einfacher Soldat, was? Da habe ich anderes gehört.« Er sah mich aufmerksam und abwartend an. Ich runzelte nur die Stirn. Was sollte er schon gehört haben? Dann murmelte er: »Eine gute Maske ist es jedenfalls.«
»Maske?« Was, zum Teufel? Der Mann redete in Rätseln.
Bertran sah mir noch einmal forschend ins Gesicht, aber als er darin nur Verständnislosigkeit erkannte, zuckte er mit den Schultern. »Es ist nichts! Zu viel Wein, nehme ich an«, sagte er und lachte verlegen.
Erst viel später, als sich der Nebel lichten sollte, der so viele Jahre mein Leben verschleiert hatte, da dachte ich an diese Worte zurück. Kam es mir nur so vor, oder hatte er schon damals alles gewusst? Wollte er sich mir offenbaren? Und zog sich dann wieder zurück, als ihm nur Unverständnis entgegenschlug. So ähnlich hat er sich später in einem Brief an mich ausgedrückt. In diesem Augenblick jedoch verstand ich nichts von seinen Anspielungen.
»Wenn man sich in der Schlachtreihe nicht mehr auf die Kameraden verlassen kann«, brummte ich immer noch verärgert, »dann ist alles verloren. Einer muss sich vor den anderen stellen. Das ist keine Berechnung. Auch nicht Pflicht oder Treue, sondern eine Frage des Überlebens der ganzen Truppe.«
»Waffentreue und Kameradschaft«, murmelte er zu sich selbst und sann darüber nach. »Es wäre schön, wenn die Dinge immer so klar wären. Aber sei ehrlich, Montalban, so einfach ist das Leben nicht einmal
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