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Der Bastard von Tolosa / Roman

Der Bastard von Tolosa / Roman

Titel: Der Bastard von Tolosa / Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulf Schiewe
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Unfassbare.
    Bohemund hatte den Verräter Firuz gefunden, der nachts am 3. Juni im Jahre des Herrn 1098 eine Gruppe Normannen heimlich über die Zinnen steigen ließ, die sich den Weg zum nächsten Tor erkämpfen konnte, und plötzlich waren wir innerhalb der Mauern. Gewirr, Tumult und Getöse von unglaublichen Ausmaßen erfasste die Stadt. Das Gebrüll der Kämpfenden, Waffenlärm, Mord und Brand, die gellenden Schreie der Opfer, als unsere Männer alles vor sich niedermachend in die engen Gassen eindrangen und die Verteidiger sich verbissen kämpfend bis in die Zitadelle zurückzogen.
    Unsere Truppen hatten zuerst den verbliebenen Christen Antiochias geholfen, alle Türken zu erschlagen, die sich nicht mehr hatten retten können. Doch dann begannen sie, Häuser zu durchsuchen, zu rauben und zu plündern. Sie betranken sich, zerstörten oder besudelten das, was sie nicht mitnahmen. Nach den schrecklichen Entbehrungen der langen Belagerung hatten sich die Männer in einen solchen Mordrausch gesteigert, dass sie wahllos Menschen niedermetzelten, gleich ob Türken, Syrer oder Armenier, selbst vor Christen und ihren Häusern machten sie nicht halt. Die Meute wurde zur hässlichen Bestie. Überall türmten sich die geschundenen Leiber. Kinderleichen fand ich, achtlos hingeschlachtet, wie zerbrochene Puppen in eine Ecke geschleudert. Unter den Schreien der Opfer war das Morden zu einem stumpfen Abschlachten ohne Sinn oder Mitleid entartet. Rinnsale von Blut rannen durch die Gassen und sammelten sich in riesigen, roten Lachen, durch die man knöcheltief waten musste. Möbel wurden auf die Straße geworfen, Heiligenbilder zerstört, Paläste brannten aus. Plünderer schrien und zeterten im Streit um ihre Beute. Überall stieg man über Leichen, und bald legte sich ein ekelhafter Gestank von Verwesung über die unglückliche Stadt. So hatte sich das Volk von Antiochia die Befreiung durch christliche Ritter nicht vorgestellt.
    Wenn ich mir Jahre später die Hölle oder das Strafgericht Gottes ausmalte, so kam mir immer der Fall Antiochias in den Sinn. Einen ganzen Tag und bis in den nächsten Vormittag hinein dauerte dieses
infernum,
bis unsere Männer erschöpft, von Wein und Gewalt besoffen und mit Plunder überladen, einfach an Ort und Stelle einschliefen, wo sie standen.
    Am ersten Tag war ich wie benommen durch die Gassen geirrt. Irgendwann hatte ich ein reiches Haus betreten. Drinnen balgten sich ein paar Kerle um einen goldenen Kerzenhalter. Wütend waren sie mit Schwertern aufeinander losgegangen. Einen warf ich zu Boden, und den anderen schlug ich mit der flachen Klinge auf den Kopf. Dann griff ich mir den Gegenstand ihrer Begierde und hieß sie verschwinden. Der dreiarmige Leuchter war klein und zierlich, in bester Goldschmiedekunst gearbeitet. Ich wollte ihn nicht wirklich. Es hatte mich nur rasend gemacht, dass sie bereit gewesen waren, wegen solchen Tands einander umzubringen.
    Lange stand ich allein im Haus und betrachtete die ehemals schönen und nun beschädigten Teppiche auf dem Boden, die zerrissenen, goldbestickten Wandbehänge, umgestürzten Tische und zerbrochenen Stühle. Dies war das Haus einer wohlhabenden Familie. Voller Opulenz und Bequemlichkeiten, die wir im Westen nicht kannten. Und nun so trostlos. Ich versuchte mir vorzustellen, wie sie hier gelebt hatten. Hatten hier Kinder gespielt? Von draußen hallten wieder vereinzelt gelle Schreie herein, aber hier drinnen war es still, nur die halb heruntergerissenen Vorhänge bewegten sich im Wind.
    Da hörte ich ein leises Geräusch, das aus dem Inneren des Hauses kam, und ging ihm nach. In einer Kammer riss ich eine Tapetentür auf, und aus der Tiefe des Schranks starrten mich zwei große, verschreckte Augen an. Es war eine junge Frau.
    Wie zur Abwehr streckte sie mir eine kleine Madonnenfigur entgegen, um zu zeigen, dass sie Christin und Schwester im Glauben war. Nicht, dass Christ sein an diesem Tag viel bedeutete. Gleichzeitig drückte sie sich, so weit es ging, in die Ecke des Schranks, das Gesicht verzerrt, der Mund zum Schrei geöffnet, obwohl sie keinen Ton hervorbrachte. Was konnte sie anderes erwarten als meine Faust, die sie packen und an den Haaren aus ihrem Versteck zerren würde, um sie zu missbrauchen und dann mit durchschnittener Kehle liegen zu lassen? Denn das war an diesen Tagen das Schicksal der Frauen in Antiochia.
    Ich sagte nichts.
    Erst ganz allmählich wagte sie es, meiner ausgestreckten Hand und meinen beruhigenden Gesten zu

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