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Der Bastard von Tolosa / Roman

Der Bastard von Tolosa / Roman

Titel: Der Bastard von Tolosa / Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulf Schiewe
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war Noura eine schöne Frau. Ich suchte ihre dunklen Augen. Sie spürte diesen Blick, hielt jedoch weiterhin die Lider gesenkt, während ihr die Schamröte ins Gesicht stieg. Vor Verlangen hatte ich einen Kloß im Hals, aber ich rührte sie nicht an. Zu schäbig wäre ich mir vorgekommen, denn sie war keine dieser derben Lagerhuren.
    Mein Kopfschütteln nahm sie verwirrt zur Kenntnis, dann raffte sie rasch ihre Kleider vom Boden, warf mir einen Blick ungeheurer Erleichterung zu und flüchtete aus der Kammer. In den nächsten Tagen belohnte sie meine Zurückhaltung mit vielen kleinen Aufmerksamkeiten, darunter sogar ein erstes zaghaftes Lächeln. Das dankbare Vertrauen, das sie mir nun entgegenbrachte, schützte ihre Jungfräulichkeit besser als ein Heer von Eunuchen. Hätte ich jemals zuvor unziemliche Gedanken gehegt, so war sie nun bei meiner Ehre als Edelmann unantastbar geworden.
    Sie hielt das Haus sauber und kochte das wenige an Nahrung, das ich auf meinen Streifzügen durch die Stadt aufzutreiben imstande war. Schwere Dinge nahm ich ihr ab, da ich sah, dass ihre makellosen Hände nicht an Grobes gewöhnt waren. Überhaupt waren wir höflich und rücksichtsvoll zueinander, keusch wie Bruder und Schwester.
    Noura war überzeugt, dass mich die Jungfrau Maria zu ihr geführt hatte, und dankte ihr jeden Abend zur Vesperzeit. Ein Schemel oder ein Kistchen, das sie mit einem Tuch bedeckte, diente als Schrein. Darauf der goldene Kerzenhalter und die kleine Madonnenfigur. Sie verbrannte etwas Weihrauch in einem Schälchen, zündete die Kerzen an, und der Raum füllte sich mit warmem Licht. Dann nahm sie das silberne Kreuz ihrer Mutter vom Hals, küsste es und legte es neben die Madonna. Wenn alles so war, wie sie es wollte, begann sie, mit leiser Stimme zu beten. Ich wagte kaum zu atmen, um ihre Andacht nicht zu stören. Später lud sie mich ein, daran teilzunehmen. Schließlich wurde es zur täglichen Gewohnheit.
    Nachdem Noura die ersten Brocken unserer Sprache gelernt hatte, konnten wir uns besser verständigen. Stockend und unter Strömen von Tränen erzählte sie von ihrer Familie. Mutter, Vater, zwei Brüder und zwei Schwestern hatte sie verloren, ihre alte Großmutter und eine Tante, die Schwester ihres Vaters. Wir hatten niemanden mehr finden können, obgleich ich mit ihr die ganze Stadt absuchte, sooft ich vom Kriegsdienst abkömmlich war. Wie konnte sie dies ertragen, ohne den Verstand zu verlieren?
    Manchmal sprachen wir tagelang nicht miteinander. Jeder grübelte für sich über sein Schicksal. Kerbogha von Mossul würde die Stadt einnehmen. Diese Aussicht erschien uns unvermeidlich, das Ende unseres einst so stolzen Christenheeres. Mein Ende ebenso, obwohl noch so jung und in allem unerfahren, außer im Töten. Auch Noura befürchtete das Schlimmste, denn der gierige Armenier Firuz, der Bohemunds Gold genommen hatte, war ein entfernter Vetter. Es hieß, er habe es Yaghi-Siyans, dem nun toten Hauptmann der Stadt, heimzahlen wollen, weil der ihm angeblich die Frau gestohlen hatte. Kerboghas Rache und Strafgericht gegen alle Armenier würden furchtbar sein.
    Das Schlimmste in diesen Tagen war der Hunger. Die Getreidekammern der Stadt waren leer, die Gärten geplündert, Vieh und Geflügel längst verzehrt. Hunde und Katzen hatten zuletzt Höchstpreise erzielt, und selbst für eine magere Ratte zahlte man in Gold. Wer arm war, hungerte am meisten. Heuschrecken waren beliebt, wenn man welche fand. Ritter schlugen sich um die mageren Fleischfetzen ihrer eigenen Pferde. Viele waren so geschwächt, dass ihnen bei größerer Anstrengung schwarz vor Augen wurde.
    Wir magerten zusehends ab. Nouras Wangenknochen traten hervor, ihre Haut sah aus, als sei sie durchsichtig geworden. Seltsamerweise machte sie das noch schöner. Ihre dunklen Augen wurden noch eindringlicher als zuvor, und mit den gemessenen, von Hunger geschwächten Bewegungen ihrer schlanken Glieder glich sie einer Fee aus den Sagen meiner Amme, die ich mir als Kind immer als zarte, durchsichtige Gestalten des Lichts vorgestellt hatte.
    Die Hoffnung auf Kaiser Alexios und sein rettendes Heer erfüllte sich nicht. Wir verfluchten die Untreue der Griechen, und eine schreckliche Niedergeschlagenheit erfasste die
militia.
Und dann die Aufregung um die Gesichter des Bauernjungen Bartholomäus. Der Heilige Andreas habe ihm im Traum den Ort in der Kathedrale gezeigt, wo man die Heilige Lanze finden würde, in sechs Fuß Tiefe und halb verrostet. Und so war es

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