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Der Bastard von Tolosa / Roman

Der Bastard von Tolosa / Roman

Titel: Der Bastard von Tolosa / Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulf Schiewe
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machte mich für alles verantwortlich. Das war durchaus verständlich. Besser, mich nicht zu ärgern.
    »Geh und sattle Ghalib! Ich komme gleich. Und später sieh nach, ob sie wirklich bei Euthalia ist.« Ich fuhr mir mit der Hand über das Gesicht und seufzte. »Alles ist jetzt so anders geworden, nicht wahr?«
    Alexis nickte stumm und folgte Adela die Treppe hinunter.
    Ich stieg ein paar Stufen zur Brüstung hinauf und blickte nach Tripolis hinüber. Die plötzliche Vorladung des Grafen beunruhigte mich. Es konnte sich nur um den Streit mit Ricard de Peyregoux handeln. Ich konnte mir vorstellen, wie bitter die kleine Kröte sich über mich beklagt haben musste.
    Innerlich machte ich mich auf eine Auseinandersetzung gefasst. Dabei war ich entschlossen, nicht nachzugeben. Mein Ruf und Ansehen als Edelmann und
castelan
standen auf dem Spiel. Was war ein Mann ohne Ehre? Sollte Bertran die Seite seines Neffen vertreten, so war ich entschlossen, ihm nicht länger zu dienen.

Odos Brief
    Sancta Balbina, beschützt vor Kropf und Halsleiden
    Quinta Feria, früher Abend, 31. Tag des Monats März
    A ls ich vor das Burgtor ritt, verstummten gerade die Rufe des Muezzins zum Gebet, und die Abendsonne versank hinter dem Horizont. Das Meer und der noch helle Himmel bildeten einen scharfen Gegensatz zum Dunkel der Landfläche, auf der Al-Mina sich erhob. Stadtmauern und Hafenmolen in der Ferne bildeten schwarze Umrisse. Einige Turmspitzen wurden noch für einen Augenblick von den letzten Sonnenstrahlen berührt, bis ganz Tripolis sich in Dämmerlicht hüllte.
    Dafür blitzten nun überall, als Lampen und Feuer entzündet wurden, winzige Lichter wie funkelnde Sterne auf. Ferner Schein eines großen Feuers auf einem Platz, ausgelassene Stimmen, die der Wind herantrug, Fetzen fremdartiger Musik. Die Stadt erwachte zu jenem geheimnisvollen Nachtleben, das die Menschen immer auf seltsame Weise anzieht, als geschähen dort im Schein der Laternen Dinge, die man nicht versäumen dürfe.
    Die Muslime waren zahlreich vertreten in Tripolis, obwohl Andersgläubige wie orthodoxe Christen, Maroniten und Juden vielleicht insgesamt in der Überzahl waren. Nach dem Fall der Stadt war ein heftiger Streit ausgebrochen, ob man den Muslimen erlauben sollte, ihren Glauben auszuüben. Die latinischen Geistlichen wollten islamische Glaubensriten verbannen. Auch viele unserer Edelleute dachten so. Wozu hatten sie schließlich gekämpft? Aber Bertran hatte von Versöhnung gesprochen und sich am Ende durchgesetzt. Seine Worte hatten mich beeindruckt, denn wie konnten wir hoffen, jemals in Frieden zu leben, wenn wir nicht Glauben und Gebräuche eines Großteils des Volkes achteten.
    Es war die Gewohnheit in diesem Land, in der größten Hitze des Tages zu ruhen und den Geschäften in den kühleren Stunden des späten Nachmittags und Abends nachzugehen. Auch heute Abend waren deshalb die Gassen der Vorstadt voller Menschen, obwohl es erst Frühlingsanfang war und es sich zu dieser Stunde merklich abgekühlt hatte. Die Luft war frisch und angenehm, weshalb ich trotz eines leichten Umhangs nicht fror.
    Vor dem Festungstor lauerte die übliche Menge abgerissener und vor Schmutz starrender Bettler in sicherer Entfernung von den Stöcken der Wachen am Tor und doch nah genug, dass kein Reitersmann ihrem Flehen nach Almosen entgehen konnte. Sie trugen ihre Schwären und verkrüppelten Glieder wie Auszeichnungen und deuteten mit den Fingern darauf, damit man sie nicht übersah. Dabei jammerten sie herzzerreißend, bis man ihnen etwas hinwarf, damit sie endlich das Maul hielten.
    Ich erkannte einen kräftigen Burschen wieder, mit dicken muskulösen Schultern und einem verfilzten schwarzen Bart, der keine Beine hatte und seinen Leib mit den Armen über den Boden schleppte. Sein behaarter Oberkörper war nackt. Darunter trug er ein grauschmutziges Lendentuch, und die Stümpfe seiner Schenkel waren in abgenutzte Lederfetzen gewickelt. Welches Schicksal mochte ihm die Beine geraubt haben? Mich schauderte. Trotz dieses Gebrechens schien er eine Art Anführer unter den Bettlern zu sein.
    »Vostra Magnificencia!«,
schrie er fröhlich, als er mich sah. Der Rest seines Wortschwalls war auf Arabisch, und außer oft wiederholten Worten für Gott und Almosen konnte ich nichts verstehen. Er hievte sich über den Boden, um mir frech den Weg zu versperren, und hielt dann die schmutzige Hand auf. Ich warf ihm ein paar Kupfermünzen hin. Da grinste er verwegen und schlug, in

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