Der Bastard von Tolosa / Roman
stand.
MARIA•VIRGO
PIA•CONSOLATRIX
ORA•PRO•NOBIS
Ein Mensch wie wir alle war sie gewesen, die sanfte Jungfrau, die uns tröstet und Gott um Vergebung für uns bittet. Weder unsere Unvollkommenheit noch unsere Sündhaftigkeit sind ihr fremd. Um ihren Sohn hat sie gelitten, wie nur eine Mutter leiden kann. Sie versteht die Qualen, die wir erdulden. In ihr huldigen wir der Stärke der Frauen, erhaben in ihrer Milde, wie sie nur durch tiefe Liebe und tiefes Leid entsteht.
Die vertrauten Worte kamen wie von selbst über meine Lippen.
»Ave Maria, gratia plena, Dominus tecum, benedicta tu in mulieribus, et benedictus fructus ventris tui, Iesus. Sancta Maria, mater Dei, ora pro nobis peccatoribus, nunc et in hora mortis nostrae. Amen.«
Ich bat um ewigen Frieden für Nouras Seele und um Schutz für unsere Tochter Adela. Dann bekreuzigte ich mich und trat in die Kapelle.
Der runde Innenraum lag im Halbdunkel, unterbrochen nur von letzten, leuchtenden Farbtupfern, die von Westen her durch die ringsum hoch unter der Kuppel aufgereihten, schmalen Fenster fielen. Die Araber besitzen eine wunderbare Kunstfertigkeit, kleine bunte Glasscheiben mit Zement zu durchsichtigen Fenstern zusammenzufügen und so, je nach Sonnenstand, überraschende Lichtspiele zu erzeugen. Der rückwärtige Teil des Raumes war düster, nur spärlich von Altarkerzen beleuchtet. Darüber hing ein vergoldetes und reichverziertes Kruzifix. Zwei Betende knieten vor dem Altar. Ich erkannte Adela und neben ihr eine weitaus gewichtigere Gestalt in langer Mönchsrobe.
Paire
d’Aguiliers.
Ich muss zugeben, ich hatte ihn nie sehr gemocht. Für mich war er ein hochmütiger Pfaffe. Zwar klug und scharfzüngig, aber es war mir dennoch unverständlich, warum unser
dominus,
Coms
Raimon, ihn zu seinem Beichtvater und Ratgeber erhoben hatte. Auf dem Feldzug hatte er immer drei Packtiere für seine Habe benötigt. Und Raimon hatte ihm mehr Wachleute für Monstranzen, Bücher und Schriftrollen zugeteilt als für die Kriegskasse der Provenzalen.
Sein Auftrag war gewesen, die
chronica
der Pilgerfahrt zu verfassen. Oft hatte ich ihn im Feldlager daran arbeiten sehen. Mit hochgerafften Zeltbahnen, um bei der Hitze jeden kühlenden Luftzug auszukosten, hatte er an seinem klappbaren Schreibpult gehockt und unermüdlich Pergament mit Schriftzeichen bedeckt. Noch am Totenbett des Grafen musste
Paire
d’Aguiliers ihm versprechen, das Werk zu Ende zu bringen. Die
Historia Francorum
sollte der Nachwelt von den Leiden und Taten der Krieger des Kreuzes berichten. Zweifellos hatte Raimon sich seinen Platz in der Erinnerung der Menschen sichern wollen. Doch was verstand ein Priester schon vom Krieg? Sicher war das Buch nur voller frommer Sprüche und Schmeicheleien für den Grafen.
Adela und der Kaplan waren in gemeinsamem Gebet versunken, obwohl man nur des Paters leises Murmeln in lateinischer Litanei hörte. Wenn Adela Gottes Trost im Gebet fand, dann wollte ich sie nicht stören. Leise wandte ich mich zum Gehen, als ich
Paire
d’Aguiliers’ heisere Stimme hinter mir vernahm.
»
Senher
Montalban! Schleicht Euch nicht davon! Gottes Gruß und möge sein Friede mit Euch sein!«
Ich wandte mich um. Adela war aufgestanden und starrte mich aus dunklen Augen an. Warum so trotzig und vorwurfsvoll?
»Ich werde alt.« Der Priester hatte sich mühsam, mit leichtem Stöhnen erhoben. »Zumindest meine Knie sind nicht mehr dieselben.«
Er lachte heiser in sich hinein, während er die Kutte glatt strich. Mit einer Hand stützte er sich dann auf die Gebetsbank, während die andere mit dem Rosenkranz spielte. Der Mann war rasiert, und sein Haupt war von einer wallenden, weißen Mähne bedeckt. Eher die Haartracht eines Edelmannes und ungewöhnlich lang für einen Priester. Doch seit Antiochia hatte er sich sehr verändert. Damals noch rank und schlank, wir waren ja alle halb verhungert gewesen, war ihm die Ehre zuteilgeworden, die Heilige Lanze unter Bischof Aimars Banner gegen Kerbogha ins Feld zu tragen. Diese Geschichte hatten wir nun schon so oft in seinen Predigten zu hören bekommen, dass man meinen konnte, er ganz allein habe die Türken mit seiner Lanze besiegt. Seitdem war er dick geworden, und sein mächtiger Bauch hing über den Gürtel. Eine ungesunde, rote Gesichtsfarbe zeugte von zu viel Blut in seinem fetten Leib, und ein Aderlass täte ihm sicher gut.
»Ihr seid ein seltener Gast in meiner Kirche. Wollt Ihr nicht mit uns beten?«
»Ich kam, um Adela zum
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