Der Bastard
rührt f i xierte sein Blick die Leiche auf der Bahre. A ber auch das Ausbleiben einer Reaktion sagte etwas aus, obwohl es in diesem Augenblick beide Kommissare überrasc h te.
«Ist das Ihr Sohn?», fragte Heinlein Kingsley.
Er nickte.
«Sie müssen mir eine für alle in diesem Raum verständliche Antwort geben», sagte Heinlein.
«Ja, das ist mein Sohn», antwortete Kingsley emotionslos.
«Wie heißt er?»
«Henry Jonathan Kingsley.»
Kilian wandte sich an Ubunta: «Ist das Ihr Enkel?»
Zu ihrem noch immer andauernden Zittern hatten sich Tränen gesellt. Sie liefen ihr über die Wangen.
Ubunta schluchzte und nickte.
«Sie müssen das laut und verständlich zum Ausdruck bringen», wiederholte Heinlein die unangenehme Vorschrift.
«Ja.»
Heinlein gab Karl das Zeichen. Er schlug das Leichentuch wieder über Henrys Gesicht.
«Ich stelle hiermit fest», führte Heinlein den Vorgang zu Ende, «dass die Leiche als Henry Jonathan Kingsley von seinem Vater und seiner Großmutter identifiziert worden ist. Bitte kommen Sie nun mit hoch in den Besprechungsraum, damit wir Ihre Personalien feststellen können.»
«Wir benötigen noch eine DNA-Probe von I h nen», unterbrach Karl und meinte Kingsley, «damit wir sichergehen können. Es ist Vorschrift.»
«Was ist mit Henry passiert?», fragte Ubunta tränenerstickt.
« Sie heißen Mary Dari Kingsley?», las Heinlein aus ihrem Ausweis vor.
Sie nickte.
Im Besprechungsraum des Gerichtsmedizinischen Instituts, der ringsum mit Büchern und Ordnern bearbeiteter Fälle bis an die Decke gefüllt war, saßen sie um einen Tisch. Jonathan Kingsley saß neben seiner Mutter Ubunta, die sich inzwischen gefasst hatte, Kil i an und Heinlein auf der anderen Tischseite.
Jonathan Kingsley verströmte noch immer eine rätselhafte Unberührtheit. Der Tod und der Anblick seines Sohnes Henry schienen ihm äußerlich nichts anzuhaben. Kilian beobachtete ihn. Er kämpfte mit dem Gedanken, wie er reagieren würde, wenn er ins Angesicht seines Sohnes blicken müsste, der ermo r det im kahlen und kalten Abstellraum einer Gerichtsmedizin lag. Ein Schauer lief ihm über den Rücken.
Und noch ein Detail fiel ihm auf. Jonathan King s ley ließ wenig äußere Gemeinsamkeiten mit seiner Mutter Ubunta erkennen. Selbst in der grellen Beleuchtung war sie eine Schwarzafrikanerin, während er weniger dunkel wirkte. Sein Gesicht war schmaler, ebenso die Nase, die Lippen dünner.
«Wieso nennen Sie sich Ubunta, wenn Ihr richt i ger Name Kingsley ist?», fragte Heinlein.
Statt ihrer antwortete Jonathan, kühl und b e stimmt, mit einem Hauch von Arroganz. «Ihr Stamm hat ihr den Namen verliehen.»
«Weshalb?»
«Sie ist ihr geistlicher Führer.»
«Was soll denn das sein?»
«Ihre Priesterin, eine Schamanin.»
Heinlein folgerte: «Deshalb bekommt man einen neuen Namen?»
Kingsley blieb seiner Linie treu – kühl, emotion s los, arrogant. «Sicher, genauso wie Ihr Papst auch nicht mehr Ratzinger heißt, sondern Benedikt.»
Heinlein widersprach. «Da herrscht ja wohl ein großer Unterschied.»
Der Mann ging nicht darauf ein, ein Lächeln, das Mitleid ahnen ließ, machte sich in seinem Gesicht breit.
«Was bedeutet Ubunta?», wollte Kilian wissen.
«Es steht für eine afrikanische Grundhaltung, eine Philosophie, die sich auf wechselseitigen Respekt und Anerkennung, Achtung der Menschenwürde und das Bestreben nach einer harmonischen und friedlichen Gesellschaft stützt. Der deutsche Begriff Humanität kommt dem am nächsten. Ubuntu oder Ubunta ist als erstrebenswertes Ziel in der Verfassung verschi e dener afrikanischer Staaten verankert worden.»
Jonathan blickte abwartend auf Heinlein, ob er dem noch etwas hinzuzufügen hatte. Doch der ging nicht darauf ein. Stattdessen studierte er Kingsleys Pass.
«Jonathan Babafemi Kingsley», führte er aus. «Staatsbürger der Republik von Kenia, wohnhaft in der Leistenstraße …»
«Ich hatte noch keine Möglichkeit, mich umzumelden», kam Kingsley dem Vorwurf eines Gesetzesverstoßes zuvor. «Ich wohne erst seit rund vier Wochen in der Mergentheimer.»
Heinlein blätterte im Pass weiter. «Sie verfügen über eine permanente Arbeits- und Aufenthaltse r laubnis?»
«Ich arbeite seit rund zehn Jahren an der Sibelius -K linik. Die dürfte auch Ihnen ein Begriff sein.»
«Sollte sie das?»
«Wir sind weltweit bekannt im Bereich der plastischen Chirurgie. Sollten Sie sich also entschließen, an Ihrem Äußeren etwas ändern zu wollen, rufen
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