Der Bastard
Sie mich an. Ich bin Spezialist, auch für schwierige Fä l le.»
Wieder ein Lächeln.
Kilian schritt ein, bevor ein offener Schlagabtausch zwischen den beiden ausbrach. «Berichten Sie uns, wann Sie Henry das letzte Mal gesehen haben.»
«Am Eröffnungsabend des Afrika-Festivals», antwortete Ubunta überraschend. «Er wollte die Nacht bei seinem Vater verbringen und nicht wie abgesprochen bei mir.»
«Sie wohnen wo?», fragte Heinlein.
«Im Maritim.»
«Nobel.»
«Wieso brach er die Absprache?», fragte Kilian.
«Er wollte nichts mit dem Festival zu tun haben. Wir hatten einen kleinen Streit deswegen. In seinen Augen hat das Festival nichts mit Afrika zu tun.»
«Sondern?»
«Er hatte schon immer einen sehr eigenwilligen Geist. Für ihn zeigt das Festival nicht das wahre Gesicht Afrikas. Daher hat er sich in der ganzen Zeit, in der wir nun in Würzburg sind, mehr in der Stadt und bei seinem Vater aufgehalten. Es war mir auch nicht ganz unrecht, da ich sehr beschäftigt bin.»
«Das heißt, er hat die Nächte zuvor in der Mergentheimer Straße, in der Wohnung seines Vaters, ve r bracht und nicht bei Ihnen im Maritim?»
Ubunta nickte.
«Wann hat er sich an diesem Abend von Ihnen verabschiedet?», fragte Kilian.
«Gegen zwanzig Uhr. Er wollte ein Taxi nehmen, und da der nächste Stand nicht weit entfernt ist, habe ich mir keine Gedanken gemacht.»
Sie schluchzte, und ihr Sohn nahm sie in den Arm.
Heinlein fragte Kingsley: «Kam er in dieser Nacht jemals bei Ihnen an?»
«Ja, sein Rucksack lag im Wohnzimmer, und im Badezimmer hatte er sich offenbar frischgemacht.»
«Offenbar?»
«Ja, ich war ja nicht zu Hause. Ich hatte an diesem Abend noch ein Patientengespräch in der Klinik.»
«Von dem Sie wann zurückgekehrt sind?»
«Sie meinen, nach Hause?»
Nicken.
«Kurz vor zwölf.»
«Und Sie haben sich keine Gedanken gemacht, dass Ihr Sohn nicht im Bett lag?», wollte Heinlein wissen.
«Ich hatte überhaupt keine Ahnung. Er sollte ja die Nacht bei seiner Großmutter verbringen.»
«Und der Rucksack, der im Wohnzimmer lag, hat Sie nicht stutzig gemacht?»
«Henry war ein sehr aufgeweckter Junge. Er kam und ging, wie es ihm beliebte, ohne dass wir uns Sorgen um ihn machen mussten.»
«Kann jemand bestätigen, dass Sie erst gegen Mitternacht in Ihre Wohnung zurückgekehrt sind?»
«Nein.»
«Wie lange hat Ihr Patientengespräch gedauert?»
«Bis elf Uhr, glaube ich.»
«Was haben Sie in der Zwischenzeit gemacht?»
«Ich habe einen Absacker genommen.»
«Wo?»
«Oben auf dem Nikolaushof, in der Bar.»
«Zeugen?»
«Bestimmt. Ich kenne aber die Namen nicht.»
Heinlein wandte sich an Ubunta. «Wo haben Sie sich zwischen zehn Uhr und Mitternacht aufgeha l ten?»
«Ich hatte ein Kundengespräch.»
«Mit wem und wo?»
«Mit den Geschäftsführern von Biomed. Wir aßen in der Fischbärbel.»
«Wie lange?»
«Bis kurz vor elf Uhr, glaube ich.»
«Und dann?»
«Ging ich zurück ins Hotel und habe mich schlafen gelegt.»
«Zeugen?»
«Der Rezeptionist hat mich kommen sehen.»
Eine Pause trat ein. Die Aussagen gingen Heinlein und Kilian durch den Kopf. Auch wenn es ungewöhnlich war, einem Dreizehnjährigen derart viel Freiraum zu lassen, gab es keinen Anhaltspunkt, dass an ihren Aussage n e twas nicht stimmte. Außer dass sie für den Todeszeitpunkt kein überprüfbares Alibi besaßen.
«Am nächsten Morgen», fragte Kilian, «haben Sie sich keine Sorgen um Henry gemacht?»
«Ich wähnte ihn ja bei meiner Mutter», antwortete Kingsley.
«Und ich dachte, dass er mit seinem Vater unterwegs war», sagte Ubunta.
«Sie können sich also nicht erklären, wo er in jener Nacht noch hinging?»
Kopfschütteln.
«Hatte er sonst noch Bekannte oder Freunde in der Stadt?»
«Nicht dass ich davon wüsste», antwortete King s ley.
Tränen schossen in Ubuntas Augen. «Er war zum ersten Mal in der Stadt. Er kannte niemanden.»
Jonathan Kingsley nahm sie in den Arm. «Ich denke, das reicht jetzt», sagte er. «Sie sehen ja, in welchem Zustand sich meine Mutter befindet. Wenn Sie noch Fragen haben … Sie wissen, wo Sie uns erreichen.»
Sie standen auf.
Heinlein ließ sie ziehen.
Doch Kilian hatte noch eine Frage: «Ich habe Sie vorhin am Telefon nicht ganz verstanden. Wer hat Ihnen gesagt, dass wir einen unbekannten toten Ju n gen in der Gerichtsmedizin haben?»
«Es stand doch in der Zeitung», ging Heinlein dazwischen.
Kingsley drehte sich um. « Dr. Rosenthal hat es mir gesagt.»
23
P ia
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