Der Bastard
Anna hat er sich direkt gerächt, und Henrys Tod ist seine R a che an Jon a than.»
Danach wusste keiner etwas zu sagen. Sie schwiegen, bis Heinlein beschloss: «Das war das.» Dann stand er auf.
«Ich nehme mir Kingsley noch einmal vor. Kilian, du gehst zu Maximilian Sibelius. Mach kein Verhör daraus, nur ein informatives Gespräch.
Sabine, du bringst alles Verfügbare über den Sibelius -C lan in Erfahrung. Woher kommt das Geld, der Einfluss, die Klinik und so weiter.
Und du, Pia, gehst nach Hause und ruhst dich erst mal aus. Anschließend gehst du noch einmal die Unterlagen deiner Schwester durch und schaust, ob du etwas übersehen hast.»
Pia wollte protestieren, besann sich aber rechtze i tig eines Besseren. Sie war in der Probezeit.
26
D as Haus in der Sanderauer Rückertstraße wurde von sechs Parteien bewohnt. Eine von ihnen war Maximilian Sibelius. Das Namensschild war knapp gehalten und beschränkte sich auf den Nachnamen.
Kilian drückte den Klingelknopf und blickte nach oben. Nach der Logik der Klingelschilder und deren Anordnung am Türstock musste sich die Wohnung im dritten Stock befinden. Mit Sicherheit handelte es sich hierbei um Eigentumswohnungen.
«Ja, bitte», tönte es aus der Gegensprechanlage.
«Kilian, Kriminalpolizei. Ich möchte Sie spr e chen.»
«Worum geht ’ s?»
«Das würde ich Ihnen gern persönlich sagen.»
Ein kurzer Moment der Stille, dann: «Dritter Stock, links.»
Surren.
Kilian betrat das Treppenhaus. Die Decke war in Apricot gehalten, unterbrochen durch kleine Bahnen aus weißem Stuck, an den Wänden befanden sich keine Schrammen abgestellter Räder oder Kritzeleien spielender Kinder. Die Holztreppe führte im weiten Rund nach oben. Die Stufen blankgewienert und ohne e r kennbaren Abtritt.
Eine ungewöhnliche Stille herrschte hier. Im Vorbeigehen warf Kilian einen Blick auf die Namensschi l der. Als er im dritten Stock angelangt war, hatte er zwei Doktor- und einen Professorentitel gelesen.
Maximilian Sibelius empfing ihn in der Tür st e hend.
Kilian wies sich aus und wurde hereingebeten. Die Wohnung war, wie er vermutet hatte, riesig. Er trat in eine Art Empfangszimmer, dahinter sah Kilian in ein üppig dimensioniertes Wohnzimmer, an der rechten Seite stand die Tür zu einem Gang mit weiteren Räumen offen. Diese Raumaufteilung war ungewöhnlich, ebenso wie die Einrichtung, die zu dem vierzigjährigen Sibelius nicht so recht passen wollte. Goldgerahmte, verzierte Spiegel, verschnörkelte Antiquitäten, Läufer über dem Parkett, bestickte Gardinen und Landschaft s bilder ließen eher auf ältere Bewohner schließen – peinlich auf Sauberkeit bedachte Bewohner allerdings. Die Räume waren wie geleckt, und selbst die Luft schien noch nie vom Pesthauch einer Zigarette getrübt worden zu sein.
Sibelius wies Kilian einen Platz auf der geschwungenen und mit blauem Damast bezogenen Chais e longue zu. Er setzte sich ihm gegenüber, schlug die Beine übereinander und erwartete Kilians Anliegen. Die Atmosphäre entsprach der Sprechstunde bei e i nem teuren Psychologen.
«Ich ermittle in einem Tötungsdelikt», begann Kilian, der sich nicht wohl in der ihm zugewiesenen Rolle als Patient fühlte. Sibelius übernahm routiniert die Position des fürsorglichen Helfers und Arztes. «Der Name des Opfers lautet Henry Kingsley. Ist Ihnen dieser Name beziehungsweise das Opfer bekannt?»
«Kingsley», antwortete Sibelius ruhig und ohne Hast , « ja, ich kenne einen Jonathan Kingsley. Er arbeitet bei uns in der Klinik. Einen Henry kenne ich jedoch nicht. Wer soll das sein?»
«Der Sohn von Jonathan Kingsley. Wussten Sie nichts von ihm?»
Sibelius führte die Hand, die bisher ruhig auf se i nem Bein gelegen hatte, zum Gesicht und rieb sich nachdenklich das Kinn.
«Das ist mir neu», antwortete er. «Kann es sein, dass uns Jonathan über all die Jahre ein Kind voren t halten hat?»
«Ich weiß es nicht. Sagen Sie es mir.»
Wenn Sibelius jetzt noch einmal eine Frage mit einer Gegenfrage beantwortete, dann wäre Schluss mit diesem Patienten-Arzt-Rollenspiel, sagte er sich. Er stellte hier die Fragen.
«Wissen Sie», begann Sibelius, «Jonathan ist wie ein Bruder für mich und für meine Eltern wie ein Sohn. Wir haben zusammen studiert und arbeiten im selben Haus. Also, wenn es da etwas gibt, das wir nicht wi s sen, wäre das eine große Überraschung. Für uns alle.»
Er hatte wiederum die Frage nicht beantwortet. Dieser Sibelius wand sich wie ein Wurm, der ans
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