Der Bastard
arbeiten. Vielen Müttern fällt doch die Decke auf den Kopf, wenn sie sich nur um Windeln und Milc h fläschchen kümmern.»
Pia wusste nicht, was sie darauf erwidern sollte. Sie suchte nach einem Argument, als Heinlein sich einschaltete. Er hatte während ihres Berichts geschwiegen und war danach in seine eigenen Gedanken versunken.
«Sie hat recht», sagte er. «Sie hat verdammt noc h mal recht.»
Kilian und Pia schauten ihn überrascht an. Pia ha t te erwartet, Heinlein überzeugen zu müssen, und nun war ausgerechnet er es, der ihr sofort Glauben schenkte.
«Als Thomas und Vera geboren wurden, habe ich Urlaub genommen, den habe ich dann verlängert, und am liebsten hätte ich ihn immer weiter verlängert. Das war bei beiden so. Man möchte sie in Watte p a cken und immer mit sich herumtragen, damit i h nen nur ja nichts geschieht. Wenn deine Schwe s ter nicht gerade an einer schweren Wochenbettdepression gelitten hat, dann stimme ich di r z u. Sie hätte das Kind nicht ohne einen triftigen Grund allein gelassen. Und wenn es diesen triftigen Grund gab, dann nur unter größten Sicherheitsvorkehru n gen.»
Er sah Pia und Kilian nacheinander an.
«Macht euch darauf gefasst, dass sich euer Leben ändern wird. Ihr werdet auf euch selber viel mehr achtgeben, wenn das Kind erst da ist. Nicht um eurer selbst willen, sondern weil ihr ständig in der Angst schweben werdet, euer Kind könnte Halbwaise oder Waise werden.»
Kilian setzte an, um etwas zu sagen, doch Heinlein ließ sich nicht unterbrechen.
«Vergiss die Diskussion. Sie hat recht. Mein let z tes Wort, und nun lasst uns überlegen, was das für die Ermittlung bedeutet.»
Pia hätte ihn am liebsten geküsst. Aber sie fürcht e te auch, dass Heinlein gleich wieder feststellen würde, dass sie bei der Ermittlung nichts zu suchen hatte. Doch da täuschte sie sich abermals.
«Pia, du kannst erst einmal hierbleiben. Du weißt mehr über die Familie als wir und kannst die Fakten richtig zuordnen. Wenn ich es dir aber sage, verschwindest du ohne Widerrede. Und keine Alleingänge mehr! Kapiert?»
Bevor Heinlein weitersprechen konnte, klingelte sein Telefon. Es war Karl.
«Ich habe die Ergebnisse der Kieselalgenanalyse.»
Heinlein stellte auf Lautsprecher, damit die and e ren mithören konnten.
«Wieso bist du nicht zu Hause? Es ist Sonntag.»
«Meine Frau ist verreist, und zu Hause fällt mir die Decke auf den Kopf.»
«Was hast du?»
«Ihr habt es eindeutig mit Mord zu tun. Die Kieselalgen im Blut des Jungen sind keine aus dem Main. Er ist mit Sicherheit an einem anderen Ort ertrunken. Aus e i gener Kraft kann er nicht in den Main gelangt sein.»
«Wir wissen jetzt also mit Sicherheit, dass er ertränkt wurde, nicht aber, wo das geschehen ist?», fasste Heinlein zusammen.
« J a und nein. Ich konnte natürlich keinen Ve r gleich mit allen Gewässern in der Umgebung Würzburgs machen, aber ich habe es einfach mal mit Leitungswasser versucht. Bingo.»
Heinlein bedankte sich und beendete das Gespräch.
«Henry ist also in einer Badewanne, in einem Wassereimer oder etwas Ähnlichem ertränkt worden», sagte er . « Wir können also von zwei Morden ausgehen. Mutter und Sohn, im Abstand von dreizehn Jahren. Wer hat ein Motiv?»
Heinlein wartete die Antwort nicht ab, sondern ging zur Wandtafel und nahm einen Stift in die Hand. Er schrieb Henrys Namen in die Mitte, dann wischte er ihn wieder weg und schrieb stattdessen Anna. «Bisher haben wir uns auf Henry konzentriert. Wenn man Außenstehende ausschließt, kämen nur Jonathan Kingsley und seine Mutter in Frage. Das Bindeglied ist aber A n na. Wenn wir ihren Tod mit einbeziehen, dann erweitert sich der Kreis der Verdächtigen um die Familie S i belius.»
Um Annas Namen herum platzierte er die Namen aller Beteiligten, von denen sie wussten. Er fragte Pia nach den Beziehungen der Einzelnen zueinander aus, und a m E nde stand ein fast komplettes Sozi o gramm aller Beteiligten auf der Tafel, auch Pia war darunter.
Kilian war ehrlich beeindruckt. «Schorsch, wo hast du das denn gelernt?»
Heinlein fuhr unbeirrt fort: «Was sagt uns das?»
Nun musste auch Pia schmunzeln. Kilian antwo r tete als Erster. «Wir wissen zu wenig. Wir wissen zum Beispiel nicht, wer aus der Sibelius-Familie Kenntnis von Henrys Existenz hatte. Oder von Jonathans und Annas Affäre.»
Pia wiederholte ihre Überlegungen vom Vorabend . « Heinrich und Clara wussten es sicher nicht. Daran habe ich auch schon gedacht. Aber sie hätten
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