Der Bastard
So wie es aussieht, sind die Sibelius mittlerweile in der fünften Generation Ärzte. »
«Was ist daran ungewöhnlich?»
«Dass alles Geld, alle Beziehungen und selbst der Name von Clara Sibelius stammen. Heinrich ist nur angeheiratet. Er hieß früher Trewitz und stammt aus einer Würzburger Arbeiterfamilie. Ein älterer Koll e ge hat Sabine erzählt, dass es damals zu einem regelrechten Krieg im Hause Sibelius gekommen sein soll, ob Clara den Hungerleider heiraten durfte oder nicht.»
«Sie hat sich schließlich durchgesetzt.»
«Scheint so.»
«Wie sieht es mit ihren Alibis für die Mordnacht aus?»
«Die sind wasserdicht. Clara und Heinrich haben vor rund fünfhundert geladenen Gästen an der Eröffnungsfeier auf der Bühne gestanden und eine Auszeichnung für ihre Verdienste entgegengeno m men. Daran ist nicht zu rütteln. Und außerdem: Den Sibelius unterstellt man nicht einfach einen Mord. An denen verbrenne ich mir nicht die Finger.»
«Hast du Angst um deinen Job?»
Heinlein antwortete nicht sofort. «Ja», gab er schließlich zu.
Kilian schmunzelte ob der Verflechtungen und weitreichenden Konsequenzen, die Heinlein fürcht e te. Während er das tat, sah er Maximilian Sibelius aus dem Haus kommen, in der Hand eine Reiset a sche. Er hatte auch seine Kleidung gewechselt.
«Ich melde mich wieder», sagte Kilian und beend e te das Gespräch.
Sibelius ging die Straße hinunter und stieg in einen alten Ford Fiesta ein. Kilian war überrascht. Jedes andere Auto hätte er ihm zugetraut, nur diesen alten, mi t genommenen Kübel nicht. Er startete den Wagen und beschloss, ihm zu folgen.
Die Fahrt ging über den Ring, Richtung Schwei n furt auf die Autobahn. Vorbei an Hammelburg, Richtung Bad Kissingen, bis er schließlich eine Au s fahrt nahm. Der Weg über Land führte ihn durch waldreiches Gebiet, vergessene Ortschaften hinein in die Abgeschiedenheit einer Dreihundert-Seelen-Gemeinde. Hier roch es nach Viehdung und bäuerlicher Glückseligkeit. Ein Schaue r l ief Kilian über den Rücken. Was wollte Sib e lius hier?, fragte er sich.
Der Ford vor ihm scherte in eine Auffahrt ein, die zu einem Hof führte. Kilian verringerte die Geschwindigkeit und stoppte hinter einem Silo. Von hier aus hatte er einen guten Blick auf das, was sich vor seinen Augen abspielte. Sibelius verließ sein Auto. Der Hofhund rannte auf ihn zu, begrüßte ihn schwanzwedelnd. Dann kam eine Frau in Gummistiefeln, Schürze und Kopftuch aus dem Stall, in der Hand eine Mistgabel. Sie küsste ihn. Zusammen verschwanden sie im Haus, einem typischen Wohnhaus aus den sechziger Jahren mit angeschlossenen Ställen fürs Vieh.
Zehn Minuten vergingen, als das Geräusch eines Traktors Kilians Blick auf die Scheune lenkte. Maximilian Sibelius, inzwischen in Gummistiefeln, Handwerkeroverall und Schirmmütze, saß in dem offenen G e fährt und verließ damit den Hof. Auf dem Anhänger erkannte Kilian zwei blaue Plastiktonnen und eine A n gelausrüstung.
Er überlegte, ob er ihm folgen sollte, unterließ es aber, da er sich von der Frau mehr versprach. Er ließ den Wagen an und fuhr auf den Hof. Der Hund kam herbeigerannt und bellte den fremden Gast an.
Der Befehl «Hella! » rief ihn zurück.
Kilian stieg aus. Die Frau kam auf ihn zu. «Grüß Gott», sagte sie.
Kilian reichte ihr die Hand und stellte sich als Bekannter Maximilians vor. «Ich bin gerade in der Gegend und dachte mir, dass ich ihn mal besuche.»
«Schön, dass ich endlich einen seiner Freunde kennenlerne», antwortete sie sichtlich erfreut. «Max ist da immer sehr eigen. Sie haben ihn um eine Minute verpasst, er ist zum Angeln gefahren. Soll ich Ihnen den Weg zeigen, oder wollen Sie hier auf ihn warten? Ich mache Ihnen gern einen Kaffee.»
«Danke, sehr freundlich. Ich denke, ich schau mal bei ihm vorbei.»
Sie ließ nicht locker. «Nur auf eine Tasse.»
Kilian stimmte schließlich zu und betrat mit ihr das Haus. Während sie Kaffee aufsetzte, machte es sich Kilian auf der Eckbank bequem. Er saß in einer typischen Wohnküche, die den Mittelpunkt der häuslichen G e meinschaft bildete. An der Wand sah er in Passepartouts verewigte Schnappschüsse mit Maximilian Sib e lius, der sein Anglerglück präsentierte, dann ein Bild beim Skifahren in der Rhön und schließlich Lagerfeuerromantik mit Zelt und aufgespießten Würsten. Sie trug die blonden, gewellten Haare darauf offen, so wie auch jetzt, als sie sich mit dem Kaffee zu ihm setzte. Sie mochte um die vierzig Jahre alt
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