Der Bastard
sah es in Ubuntas Augen, ihrer Haltung, ihrem Schwe i gen.
«Es tut mir leid», sagte sie, «ich hätte ihn gern kennengelernt.»
Ubunta nickte. Sie legte einen Arm um Pias Schultern.
«Er hätte dich auch gern kennengelernt. Und ihr hättet euch ganz sicher gemocht. Er sah aus wie Jonathan, aber er hatte das Wesen seiner Mutter.»
Sie fühlte Ubuntas warme Hand auf ihrer Schulter, und ihre Augen füllten sich mit Tränen.
«Er bekommt bald einen Cousin.»
«Das hätte ihm gefallen. Er war allein. Natürlich hatte er Freunde, aber er hat sich immer eine große Familie gewünscht. Ich zeig dir etwas.»
Ubunta stand auf und ging ins Nebenzimmer. Als sie wiederkam, hatte sie ein kleines Fotoalbum in der Hand.
«Wir wollten dich besuchen. Das habe ich für dich mitgebracht.»
Gemeinsam betrachteten sie die Bilder, und Ubunta erzählte von Henry als Baby, als Kleinkind, als Sch ü ler. Was sie erzählte und die Art, wie sie es erzählte, machte deutlich, dass Pia nicht mit Henrys Großmu t ter sprach , sondern mit der Frau, die für Henry wie eine Mutter gewesen war. Und sie begann zu begre i fen, dass Ubuntas Verlust unermesslich größer war als ihr eigener.
«Ich habe es nicht gewusst», sagte sie schließlich. «Ich habe ihn erst kennengelernt, als er schon tot war. Und ich will verstehen, warum das so ist. Ich will auch verstehen, warum Anna sterben musste. Aber wenn du jetzt nicht darüber sprechen kannst, dann akzeptiere ich das natürlich.»
Ubunta schüttelte den Kopf.
«Jetzt ist nicht die Zeit für Trauer. Ich werde deine Fragen beantworten. Doch zuerst werde ich dir erzählen, von Anna und von Henry. Niemand von uns weiß, wann er stirbt. Sonst würden wir sicher manches anders machen. Sie wollte noch einige Dinge r e geln und dann wieder Kontakt zu dir aufnehmen. Aber leider kam sie nicht mehr dazu.»
Ubunta stand auf und ging zum Telefon. Sie sprach leise in den Hörer und setzte sich wieder.
«Anna und Jonathan haben sich nicht geliebt. Mein Sohn ist ein komplizierter Mensch, und ich heiße nicht alle seine Handlungen gut. Anna kam zu mir, als ihre Schwangerschaft sich nicht mehr ve r bergen ließ. Sie war mit einem weißen Mann verhe i ratet und erwartete das Kind eines Schwarzen. Sie war nicht verzweifelt. Sie freute sich sehr auf das Kind. Aber sie stand unter starkem Druck. Sie wollte niemanden verletzen, musste Entscheidungen tre f fen.»
Es klopfte, und ein Hotelangestellter brachte Tee. Ubunta übernahm das Einschenken selbst.
«Wenn es ihr schlechtgegangen wäre, hätte sie sic h s icher früher an dich gewandt. Aber das war nicht der Fall. Sie sagte oft, sie müsse noch einiges organisieren und dafür den richtigen Moment a b warten.»
«Warum hat sie sich nicht von Maximilian getrennt?», fragte Pia.
«Ich weiß es nicht. Ich habe ihr angeboten, bis zur Geburt bei mir zu wohnen. Aber ich habe sie nicht mit Fragen bedrängt. Alles, was du jetzt hörst, hat sie von sich aus erzählt. Aber es war nicht viel. Das andere habe ich mir zusammengereimt. Sie hat einige Male tel e foniert.»
«Hat sie Maximilian über die Schwangerschaft informiert? Oder ihre Schwiegereltern?»
«Ich weiß es nicht. Sie hat einmal sehr laut mit jemandem telefoniert. Ich kann dir aber nicht sagen, mit wem.»
Pia kaute an ihrer Unterlippe.
«Warum hat sie das Baby allein gelassen?»
Ubunta verstand nicht.
«Das Baby war nicht allein. Wenn sie mal wegmusste, war ich immer da.»
«An dem Tag, als sie starb, wohin wollte sie da?»
«Sie wollte in ihr Haus nach Nakuru und einige Sachen holen.»
«Wollte sie dort jemanden treffen?»
Ubunta dachte nach.
«Sie hat von einem Treffen gesprochen, aber ich habe es immer so verstanden, dass sie bei ihrer Rückkehr nach Nairobi noch einen Termin hatte. Aber eigentlich hat sie es nie so genau gesagt. Es wäre möglich, dass das Treffen dort stattfand. Sie hat so davon gesprochen, dass es sich nach einem geschäftlichen Termin angehört hat.»
«Die Stelle, an der man den Wagen gefunden hat, lag das auf der Strecke zwischen Nakuru und Nair o bi, und wie weit ist das überhaupt?»
«Das Haus ist nicht in der Stadt, sondern ein ga n zes Stück außerhalb in Richtung Nairobi. Es sind u n gefähr siebzig Kilometer. Das war gut an einem Tag zu schaffen. Sie ist auch nicht selber gefahren, sie hat ein Taxi bestellt. Wir haben damals angenommen, dass sie für die Rückfahrt den Jeep genommen hat. Man hat den Wagen weit entfernt von der Straße g e funden.»
«Kannst
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