Der Bauch von Paris - 3
war, zog sie den Vorhang wieder hoch, und strickend betrachtete sie gelassen von ihrem Ladentisch aus den mit Platanen bestandenen Platz vor den Markthallen mit seinem Gewimmel von Taugenichtsen, die unter den Gittern der Bäume die Erde aufwühlten. Die Bänke entlang rauchten die Träger ihre Pfeifen. An den beiden Enden des Bürgersteigs waren die beiden Anschlagsäulen, von den grünen, gelben, roten und blauen Vierecken der Theaterplakate gleichsam in Harlekinanzüge gekleidet. Sie paßte ausgezeichnet auf die schöne Normande auf, obwohl sie sich den Anschein gab, ihre Aufmerksamkeit den vorüberfahrenden Wagen zuzuwenden. Manchmal beugte sie sich vor und tat so, als folge sie dem von der Bastille zum Place Wagram fahrenden Omnibus bis zur Haltestelle an der Pointe SaintEustache; das geschah, damit sie die Fischhändlerin besser sah, die sich ihrerseits für den Vorhang rächte, indem sie unter dem Vorwand, sich vor der untergehenden Sonne zu schützen, große Bogen grauen Papiers über ihren Kopf und ihre Ware breitete. Aber die schöne Lisa war jetzt im Vorteil. Sie zeigte sich sehr ruhig beim Herannahen des entscheidenden Schlages, während sich die andere trotz ihrer Bemühungen, jenes erhabene vornehme Aussehen zu wahren, immer wieder zu irgendeiner zu groben Frechheit hinreißen ließ, die sie danach bedauerte. Der Ehrgeiz der schönen Normande war es, »vornehm« zu erscheinen. Nichts traf sie mehr, als das gute Benehmen ihrer Rivalin preisen zu hören.
Mutter Méhudin hatte diesen schwachen Punkt bemerkt. Deshalb griff sie die Tochter nur noch da an.
»Ich habe Madame Quenu vor ihrer Tür gesehen«, sagte sie mitunter abends. »Es ist erstaunlich, wie diese Frau sich hält. Und sauber bei alledem und mit dem Gehabe einer wirklichen Dame! – Das macht der Ladentisch. Der Ladentisch, der gibt einer Frau Haltung, der macht sie vornehm.« Darin lag eine versteckte Anspielung auf Herrn Lebigres Anträge.
Die schöne Normande antwortete nicht und blieb für einen Augenblick bekümmert. Sie sah sich an der anderen Ecke der Rue Pirouette hinter dem Ladentisch des Weinhändlers das Gegenstück zur schönen Lisa bilden. Das war die erste Erschütterung ihrer Zuneigung zu Florent.
Es wurde wirklich entsetzlich schwer, Florent in Schutz zu nehmen. Das ganze Viertel fiel über ihn her. Es schien, als habe jedermann ein unmittelbares Interesse, ihn zu vernichten. In den Markthallen schworen jetzt die einen, er habe sich der Polizei verkauft, die anderen versicherten, man habe ihn im Butterkeller gesehen, wie er versuchte, die Metallgewebe der Vorratsräume zu durchbohren, um brennende Zündhölzer hineinzuwerfen. Es war ein Anschwellen von Verleumdungen, ein Sturzbach von Beschimpfungen, dessen Quelle größer geworden war, ohne daß man eigentlich erfuhr, wo sie entsprang. Die Seefischhalle war die letzte, die sich dem Aufstand anschloß. Die Fischweiber hatten Florent wegen seiner Sanftmut gern. Sie verteidigten ihn einige Zeit. Von den Händlerinnen, die aus der Butter und der Obsthalle kamen, bearbeitet, gaben sie dann nach. Da begann wieder der Kampf der riesigen Bäuche und ungeheuren Busen gegen diesen Dürren. Er war von neuem verloren in den Röcken, den zum Bersten prallen Miedern, die wütend rings um seine spitzen Schultern wogten. Er sah nichts und ging stracks seiner fixen Idee nach.
Inmitten dieser Entfesselung tauchte jetzt zu jeder Stunde und an allen Ecken Fräulein Sagets schwarzer Hut auf. Ihr kleines bleiches Gesicht schien sich zu vervielfachen. Fürchterliche Rache hatte sie der Gesellschaft geschworen, die sich in Herrn Lebigres verglastem Gelaß versammelte. Sie beschuldigte diese Herren, die Geschichte von den Speiseresten verbreitet zu haben. In der Tat hatte Gavard eines Abends erzählt, daß sich »diese alte Ziege«, die um sie herumspioniere, von dem Dreck ernähre, den die Bonapartistenbande nicht mehr wolle. Clémence wurde übel. Robine stürzte schnell ein Schlückchen Bier hinunter, wie um sich die Kehle zu spülen. Indessen wiederholte der Geflügelhändler seinen Ausspruch: »Die Tuilerien haben darauf gerülpst!« Er sprach das mit einer gräßlichen Grimasse. Diese vom Teller des Kaisers zusammengelesenen Fleischscheiben waren für ihn unsagbarer Unrat, politischer Auswurf, ein von allen Schweinereien des Regimes verdorbener Rest. Von nun an faßte man bei Herrn Lebigre Fräulein Saget nur noch mit der Pinzette an; sie wurde zu einem lebendigen Misthaufen, zu einem
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