Der Bauch von Paris - 3
dessen Buckel sich leise an der Glaswand rieb.
»Das sind Vermutungen«, murmelte der Bucklige.
»Vermutungen, wenn Sie wollen«, antwortete der Privatlehrer. »Ich weiß, wie das vor sich geht … Jedenfalls soll mich die Polente dieses Mal noch nicht zu fassen kriegen. Machen Sie alle, was Sie wollen; aber wenn Sie auf mich hören würden, Sie besonders, Herr Lebigre, so setzten Sie Ihr Lokal nicht der Gefahr aus, daß es Ihnen zugemacht wird.«
Logre konnte ein Lächeln nicht unterdrücken.
Charvet sprach mehrmals in diesem Sinne zu ihnen; er mußte wohl den Plan hegen, die beiden Männer Florent abtrünnig zu machen, indem er ihnen Angst einjagte. Stets begegnete er bei ihnen einer Ruhe und einem Vertrauen, die ihn sehr überraschten. Er kam indessen immer noch abends ziemlich regelmäßig mit Clémence. Die große Brünette war nicht mehr Listenführerin beim Fischmarkt. Herr Manoury hatte sie entlassen.
»Diese Kommissionäre sind alles Lumpen«, brummte Logre.
An die Glaswand zurückgelehnt, drehte die große Brünette eine Zigarette zwischen ihren langen, schmalen Fingern und antwortete mit ihrer klaren Stimme:
»Ach, das ist Kriegsrecht … Wir hatten eben ganz und gar nicht dieselben politischen Ansichten, nicht wahr? Dieser Manoury, der Geld, dick wie er selber, verdient, würde dem Kaiser die Stiefel lecken. Wenn ich ein Büro hätte, würde ich ihn nicht vierundzwanzig Stunden als Angestellten behalten.«
Die Wahrheit war, daß sie sich sehr derbe Scherze leistete, und eines Tages hatte sie sich den Spaß gemacht, auf die Verkaufstafeln gegenüber von Klieschen, Rochen und Makrelen, für die der Zuschlag erteilt war, die Namen der bekanntesten Damen und Herren des Hofes zu setzen. Diese den hohen Würdenträgern verliehenen Beinamen von Fischen und diese Versteigerungen von Komtessen und Baroninnen, die für dreißig Sous das Stück verkauft wurden, hatten Herrn Manoury zutiefst entsetzt. Gavard lachte jetzt noch darüber.
»Macht nichts«, sagte er und klopfte Clémence auf die Arme, »Sie sind ein Kerl!«
Clémence hatte eine neue Art, den Grog zuzubereiten, herausgefunden. Zuerst füllte sie das Glas mit heißem Wasser. Nachdem sie es gezuckert hatte, goß sie auf die Zitronenscheibe, die darin schwamm, Tropfen für Tropfen den Rum, und zwar so, daß er sich nicht mit dem Wasser vermischte, zündete ihn an und sah mit sehr ernstem, von der hohen Alkoholflamme grünbeleuchtetem Gesicht zu, wie er langsam verbrannte. Aber das war ein teures Getränk, das sie sich nicht weiter leisten konnte, als sie ihre Stellung verloren hatte. Charvet gab ihr mit einem verkniffenen Lachen zu verstehen, daß sie jetzt nicht mehr reich sei. Sie lebte von einer Französischstunde, die sie oben in der Rue de Miromesnil sehr frühzeitig einer jungen Dame erteilte, die ihre Bildung vervollkommnete und das sogar vor ihrem Zimmermädchen verheimlichte. So bestellte Clémence also nur einen Schoppen am Abend. Sie trank ihn übrigens in vollem Gleichmut.
Die Abende in dem verglasten Gelaß waren nicht mehr so geräuschvoll. Charvet schwieg jäh, bleich vor kalter Wut, wenn man ihn links liegenließ, um seinem Gegner zuzuhören. Der Gedanke, daß er hier geherrscht hatte, daß er vor der Ankunft des anderen wie ein Despot die Gruppe beherrscht hatte, setzte ihm wie einem entthronten König ein Krebsgeschwür ans Herz. Wenn er immer noch kam, so aus Heimweh nach diesem engen Winkel, wo er der so süßen Stunden der Tyrannei über Gavard und Robine gedachte. Damals gehörte ihm sogar der Buckel Logres ebenso wie die groben Arme Alexandres und das finstere Gesicht Lacailles. Mit einem Wort beugte er sie nieder, stopfte ihnen seine Meinung in die Kehle, zerschlug er sein Zepter auf ihren Schultern. Aber heute litt er zu sehr, sagte schließlich kein Wort mehr, machte einen krummen Rücken und pfiff eine verachtungsvolle Weise und ließ sich nicht herab, gegen die Dummheiten anzukämpfen, die da in seiner Gegenwart vorgebracht wurden. Besonders brachte es ihn zur Verzweiflung, daß er allmählich ausgestochen worden war, ohne es bemerkt zu haben. Er konnte sich Florents Überlegenheit gar nicht erklären. Wenn er ihn stundenlang mit seiner sanften, ein wenig traurigen Stimme hatte sprechen hören, sagte er oft: »Aber dieser Bursche ist ja ein Pfarrer. Bloß das Käppchen fehlt ihm noch.«
Die anderen schienen dessen Worte zu trinken. Charvet, der an allen Haken Florents Kleidungsstücke vorfand, tat, als wisse er nicht
Weitere Kostenlose Bücher