Der Bauch von Paris - 3
Francs in sieben Tagen«, berichtete Lisa ihrem Mann. »Was sagst du dazu? Hübsch, nicht wahr? – Wenn das in dem Zug weitergeht, reicht er mit seinen fünfzigtausend Francs höchstens vier Monate. Und der alte Gradelle hat vierzig Jahre gebraucht, um seinen Schatz zusammenzutragen!«
»Um so schlimmer für dich!« rief Quenu. »Du hattest nicht nötig, zu ihm von der Erbschaft zu sprechen.«
Sie aber sah ihn streng an und erwiderte:
»Es ist aber sein Besitz, er kann alles nehmen … Ich ärgere mich nicht, weil ich ihm dieses Geld gebe, sondern weil ich weiß, welch schlechte Verwendung er offenbar dafür hat … Ich habe es dir lange genug gesagt: Das muß ein Ende nehmen.«
»Tu, was du willst, ich hindere dich nicht«, erklärte schließlich der Fleischer, den der Geiz quälte.
Er liebte zwar seinen Bruder sehr, aber der Gedanke, daß die fünfzigtausend Francs in vier Monaten durchgebracht sein sollten, war ihm unerträglich. Nach Fräulein Sagets Klatschereien ahnte Lisa, wohin das Geld ging. Da die Alte sich erlaubt hatte, eine Anspielung auf die Erbschaft zu machen, benutzte Lisa sogar die Gelegenheit, das Viertel wissen zu lassen, daß Florent seinen Teil abhebe und ihn nach seinem Gutdünken verzehre. Am folgenden Tag brachte sie die Geschichte mit dem roten Leinenzeug zu einem Entschluß. Sie verharrte einige Augenblicke, rang noch und betrachtete rings um sich das bekümmerte Aussehen des Fleischerladens: die Schweine hingen mißmutig herunter; Mouton saß mit struppigem Fell und den trüben Augen eines Katers, der nicht mehr in Frieden verdaut, neben einem Fettopf. Da rief sie Augustine, damit diese hinter dem Ladentisch blieb, und ging in Florents Stube hinauf.
Als sie die Stube betrat, fuhr sie zusammen. Die kindliche Lieblichkeit des Bettes war von einem Packen roter Schärpen ganz befleckt, die bis auf den Boden herabhingen. Auf dem Kamin lagen zwischen den goldbemalten Schachteln und leeren Salbentöpfen rote Armbinden und Pakete von Kokarden herum, die riesige auseinandergelaufene Blutstropfen bildeten. An allen Nägeln beflaggten außerdem auf dem verblichenen Grau der Tapete Stoffbahnen die Wände mit karierten, gelben, blauen, grünen, schwarzen Fahnen, in denen die Fleischersfrau die Banner der zwanzig Sektionen wiedererkannte. Die Kindlichkeit des Raumes schien ganz verstört über diese revolutionäre Ausschmückung. Die derbe, unbefangene Dummheit, die das Ladenmädchen hier zurückgelassen hatte, dieses weiße Aussehen der Vorhänge und der Möbel nahmen den Widerschein einer Feuersbrunst an, während die Fotografie von Auguste und Augustine schreckensbleich wirkte. Lisa ging umher, besah sich die Banner, die Armbinden, die Schärpen, ohne etwas zu berühren, als habe sie Angst, diese gräßlichen Fetzen hätten sie verbrannt. Sie sann nach, daß sie sich nicht getäuscht hatte, daß das Geld für diese Dinge draufging. Das hier war für sie eine Schandtat, eine kaum glaubliche Tat, die ihr ganzes Wesen hochbrachte. Ihr Geld, dieses so ehrbar verdiente Geld, diente also dazu, den Aufruhr zu organisieren und zu bezahlen! Sie blieb stehen, blickte auf die offenen Blüten des Granatapfelbäumchens auf dem Altan, die weiteren blutigen Kokarden glichen, und lauschte dem Finkenschlag wie dem fernen Widerhall von Gewehrfeuer. Da kam ihr der Gedanke, der Aufstand müsse morgen, vielleicht diesen Abend ausbrechen. Die Banner flatterten. Die Schärpen marschierten an ihr vorbei. Jäher Trommelwirbel krachte an ihre Ohren. Und sie ging rasch hinunter, ohne sich auch nur damit aufzuhalten, die auf dem Tisch ausgebreiteten Papiere zu lesen. Im ersten Stock hielt sie inne und kleidete sich an.
Auch in dieser ernsten Stunde frisierte sich die schöne Lisa sorgfältig mit ruhiger Hand. Sie war fest entschlossen, erschauerte nicht und hatte eine noch größere Strenge in den Augen. Während sie ihr schwarzseidenes Kleid zuhakte, mit aller Kraft den Stoff mit ihren kräftigen Fäusten spannte, erinnerte sie sich an Abbé Roustans Worte. Sie fragte sich, und ihr Gewissen antwortete ihr, daß sie eine Pflicht erfüllen gehe. Als sie sich den türkischen Schal um ihre breiten Schultern legte, empfand sie das Gefühl, daß sie eine hochehrbare Handlung vollziehe. Sie zog dunkelviolette Handschuhe an und befestigte einen dichten Schleier an ihrem Hut. Vor dem Weggehen schloß sie den Sekretär zweimal ab mit zuversichtlicher Miene, wie um ihm zu sagen, daß er nun endlich ruhig schlafen könne.
Quenu
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