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Der Bauch von Paris - 3

Der Bauch von Paris - 3

Titel: Der Bauch von Paris - 3 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Émile Zola
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sie Ihnen aushändigen. Ich habe genug davon, nicht wahr? Das macht mir kaum Spaß, Sie alles durchwühlen zu sehen … Gehen Sie, es ist ganz unnütz.«
    Die Polizeibeamten, die jedes Möbelstück durchsucht hatten, wollten nun in die Kammer eindringen, in der Murx schlief. Seit einer Weile war der Junge zu hören, der von dem Lärm aufgewacht war und heiße Tränen weinte, weil er zweifellos glaubte, man komme ihn erwürgen.
    »Das ist die Kammer des Kleinen«, sagte die Normande und öffnete die Tür. Ganz nackt kam Murx angelaufen und hängte sich an ihren Hals. Sie tröstete ihn und legte ihn in ihr eigenes Bett. Die Polizeibeamten kamen fast sofort wieder aus der Kammer heraus, und der Kommissar entschloß sich zu gehen, als plötzlich der Junge, noch ganz in Tränen gebadet, seiner Mutter ins Ohr flüsterte:
    »Sie wollen meine Hefte wegnehmen … Gib ihnen meine Hefte nicht …«
    »Ah, wirklich«, rief die Mutter, »da sind ja die Hefte … Warten Sie, meine Herren, ich werde sie Ihnen aushändigen. Ich will Ihnen zeigen, daß ich mir nichts daraus mache … Sehen Sie, da drin finden Sie seine Handschrift! Man kann ihn ruhig aufhängen, ich werde ihn nicht abschneiden.«
    Sie übergab die Hefte des Kleinen und die Schreibvorlagen. Aber wütend stand Murx von neuem auf und biß und kratzte seine Mutter, die ihn mit einer Maulschelle wieder ins Bett brachte. Da fing er an zu heulen.
    Über die Schwelle der Stube streckte Fräulein Saget den Hals in den Heidenlärm; sie war, da sie alle Türen offen fand, hereingekommen und bot Mutter Méhudin ihre Dienste an. Sie sah sich um, sie horchte und beklagte die armen Damen, die niemand hatten, der sie beschützte.
    Inzwischen las der Kommissar mit ernster Miene die Schreibvorlagen. Die Worte »tyrannisch, freiheitsmörderisch, verfassungswidrig, revolutionär« ließen ihn die Stirn runzeln. Als er den Satz las: »Wenn die Stunde schlägt, wird der Schuldige fallen«, versetzte er dem Heft kleine Klapse und sagte: »Das ist sehr schwerwiegend, sehr schwerwiegend.« Er gab die Hefte an einen Polizeibeamten weiter und ging.
    Claire, die noch nicht zum Vorschein gekommen war, öffnete ihre Tür und sah diese Männer hinuntergehen. Dann kam sie in das Zimmer ihrer Schwester, das sie seit einem Jahr nicht betreten hatte. Fräulein Saget schien sich bestens mit der Normande zu stehen; sie empfand Mitleid mit ihr, hob die Schalenden auf, um sie besser zu bedecken, und nahm mit teilnahmsvoller Miene die ersten Geständnisse ihres Zornes entgegen.
    »Du bist schön feige«, sagte Claire und pflanzte sich vor ihrer Schwester auf.
    Diese erhob sich, war furchtbar und ließ den Schal herabgleiten. »Du spionierst also!« schrie sie. »Wiederhol das doch noch mal, was du gesagt hast!«
    »Du bist schön feige!« wiederholte das junge Mädchen mit noch beleidigenderer Stimme.
    Da gab die Normande Claire mit voller Wucht eine Ohrfeige. Die wurde gräßlich bleich, sprang sie an und grub ihr die Fingernägel in den Hals. Einen Augenblick rangen die beiden, rissen einander die Haare aus und suchten sich gegenseitig zu erwürgen. Mit übermenschlicher Kraft stieß die Jüngere, so gebrechlich sie auch war, die Ältere so heftig, daß die eine wie die andere in den Schrank stürzten, dessen Spiegel zerbarst.
    Murx schluchzte. Die alte Méhudin schrie Fräulein Saget an, sie solle ihr helfen, die beiden auseinanderzubringen. Aber Claire hatte sich schon befreit und rief:
    »Feigling, Feigling … Ich werde ihn warnen gehen, den Unglücklichen, den du verraten hast.«
    Ihre Mutter versperrte ihr die Tür. Die Normande warf sich von hinten auf sie, und mit Hilfe von Fräulein Saget, die allen dreien half, stießen sie sie trotz wahnsinnigen Widerstandes in ihr Zimmer, wo sie sie einsperrten und den Schlüssel zweimal herumdrehten. Sie versetzte der Tür Fußtritte und zerschlug alles bei sich. Dann war nur noch ein wütendes Kratzen zu hören, ein Geräusch von Eisen, das den Gips zerschabte. Sie war dabei, mit der Spitze ihrer Schere die Türangeln herauszubrechen.
    »Sie würde mich umgebracht haben, wenn sie ein Messer gehabt hätte«, sagte die Normande und suchte ihre Kleider, um sich anzuziehen. »Sie werden sehen, daß sie schließlich noch einen schlimmen Streich spielen wird mit ihrer Eifersucht … Vor allem, daß man ihr nicht die Tür aufmacht. Das ganze Viertel würde sie gegen uns aufwiegeln.«
    Fräulein Saget hatte sich beeilt, hinunterzukommen. Sie langte an der Ecke der

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