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Der Bauch von Paris - 3

Der Bauch von Paris - 3

Titel: Der Bauch von Paris - 3 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Émile Zola
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Hallen besprachen Gruppen die Ereignisse des Vormittags. Neugierig schaute man in die Fleischerei. Lisa vermied zu erscheinen und ließ Augustine am Ladentisch. Am Nachmittag glaubte sie endlich, Quenu alles sagen zu müssen, aus Angst, daß ihm irgendeine Klatschbase den Schlag zu grob versetze. Sie wartete, bis sie mit ihm in der Küche allein war, weil sie wußte, daß er dort gern weilte und er dort weniger weinen würde. Übrigens ging sie mit mütterlicher Behutsamkeit zu Werke. Aber als er die Wahrheit erfuhr, fiel er auf das Hackbrett und zerschmolz in Tränen wie ein Kalb.
    »Sieh mal, mein armer Dicker, sei doch nicht so verzweifelt, du schadest dir«, meinte Lisa zu ihm und nahm ihn in ihre Arme.
    Seine Augen liefen aus auf seine weiße Schürze, seine träge Masse hatte Schmerzensstrudel. Er sackte zusammen, zerschmolz. Und als er wieder zu sprechen vermochte, stammelte er:
    »Nein, du weißt nicht, wie gut er zu mir war, als wir in der Rue RoyerCollard wohnten. Er fegte aus, er besorgte die Kocherei … Er liebte mich wie sein Kind, siehst du; wie oft kam er verdreckt und so müde nach Hause, daß er sich nicht mehr rühren konnte, und ich, ich aß gut und hatte es warm zu Hause … Jetzt, da wird man ihn erschießen.«
    Lisa widersprach lebhaft und meinte, man werde ihn nicht erschießen.
    Aber er schüttelte den Kopf und fuhr fort: »Wie dem auch sei, ich habe ihn nicht genug geliebt. Ich kann das nun wohl sagen. Ich habe ein schlechtes Herz gehabt. Ich habe gezögert, ihm sein Erbteil auszuhändigen …«
    »So! Ich habe es ihm mehr als zehnmal angeboten«, rief sie. »Wir haben uns nichts vorzuwerfen.«
    »Ja, du! Ich weiß ja, du bist gut, du hättest ihm alles gegeben … Aber mir machte das was aus, siehst du! Das wird der Kummer meines ganzen Lebens sein. Immer werde ich denken, daß es nicht ein zweites Mal so schlecht ausgegangen wäre, wenn ich mit ihm geteilt hätte … Das ist meine Schuld, ich habe ihn ausgeliefert.«
    Sie gab sich noch sanfter; sie meinte, er solle sich nicht den Verstand zerschlagen. Sie beklagte sogar Florent. Übrigens trage er viel Schuld. Wenn er mehr Geld gehabt hätte, würde er vielleicht noch mehr Dummheiten begangen haben. Nach und nach gelang es ihr, zu verstehen zu geben, daß das gar nicht anders enden konnte und sich nun alle Welt wohler fühlen werde.
    Quenu weinte immer noch und wischte sich mit seiner Schürze die Wangen ab, unterdrückte zwar sein Schluchzen, um ihr zuzuhören, brach aber dann bald noch mehr in Tränen aus. Mechanisch hatte er die Finger in einen Haufen Wurstfleisch gesteckt, das auf dem Hackbrett lag; er bohrte Löcher hinein und knetete es roh.
    »Erinnere dich, du fühltest dich nicht wohl«, fuhr Lisa fort. »Das kam, weil wir unsere gewohnte Lebensweise nicht mehr hatten. Ich war sehr beunruhigt, wenn ich es dir auch nicht sagte, denn ich sah doch, wie du herunterkamst.«
    »Nicht wahr?« murmelte er und hörte einen Augenblick auf zu schluchzen.
    »Und das Geschäft ist in diesem Jahr auch nicht gegangen. Es war wie ein Verhängnis … Laß, wein nicht, du wirst sehen, alles kommt wieder in Gang. Aber du mußt dich auch für mich und für deine Tochter erhalten. Du hast auch uns gegenüber Pflichten zu erfüllen.«
    Er knetete das Wurstfleisch behutsamer. Die Gemütsbewegung überkam ihn aufs neue, aber eine gerührte Gemütsbewegung, die schon ein unbestimmtes Lächeln über sein schmerzverzerrtes Gesicht breitete.
    Lisa fühlte, daß er besiegt war. Schnell rief sie Pauline, die im Laden spielte, setzte sie ihm auf die Knie und sagte:
    »Pauline, nicht wahr, dein Papa muß doch vernünftig sein? Bitt ihn hübsch, daß er uns keinen Kummer mehr machen soll.«
    Das Kind bat ihn hübsch. Sie sahen einander an, in derselben Umarmung umschlossen, riesig, überquellend, bereits genesend von dem Unbehagen eines Jahres, dem sie kaum entgangen waren; und sie lächelten sich mit ihren runden, breiten Gesichtern zu, während die Fleischersfrau es noch einmal sagte:
    »Nach alledem gibt es nur noch uns drei, mein Dicker, gibt es nur noch uns drei.«
    Zwei Monate später war Florent aufs neue zur Deportation verurteilt. Die Angelegenheit erregte ungeheures Aufsehen. Die Zeitungen bemächtigten sich der geringsten Einzelheiten, brachten die Bilder der Angeklagten, Zeichnungen der Banner und Schärpen, Pläne der Örtlichkeiten, an denen sich die Bande versammelte. Vierzehn Tage lang war in Paris von nichts als von dem Markthallenkomplott die

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