Der Bauch von Paris - 3
ganze geschwätzige und gewalttätige Politik nährte sich von Prahlereien, von Räubergeschichten, von jenem spöttischen Bedürfnis nach Radau und üblen Späßen, das den Pariser Krämer dazu treibt, an einem Barrikadentag seine Fensterläden zu öffnen, um die Toten zu sehen. Daher witterte der Geflügelhändler, als Florent von Cayenne zurückkam, einen entsetzlichen Streich und suchte, auf welche besonders geistvolle Weise er sich über den Kaiser, das Ministerium und die Staatsbeamten bis zum letzten Polizisten herab lustig machen könne.
Gavards Haltung gegenüber Florent war von einer Freude am Verbotenen erfüllt. Er zwinkerte ihm ständig mit den Augen zu, sprach leise, um ihm die harmlosesten Dinge zu sagen, und legte in jeden Händedruck freimaurerische vertrauliche Mitteilungen. Endlich war er also einem Abenteuer begegnet. Er hatte einen wirklich gefährdeten Kumpel; er konnte, ohne allzusehr zu lügen, von Gefahren sprechen, denen er sich aussetzte. Er empfand sicherlich eine uneingestandene Angst angesichts dieses Burschen, der aus dem Zuchthaus zurückkehrte und dessen Magerkeit von langen Leiden berichtete; aber diese köstliche Angst ließ ihn über sich selbst hinauswachsen und redete ihm ein, er begehe eine sehr erstaunliche Handlung, indem er sich einen der gefährlichsten Menschen zum Freunde nahm. Florent wurde heilig, er schwor nur bei Florent, erwähnte Florents Namen, wenn es ihm an Argumenten mangelte und er die Regierung ein für allemal zerschmettern wollte.
Gavard hatte in der Rue SaintJacques wenige Monate nach dem Staatsstreich seine Frau verloren. Die Bratküche behielt er bis zum Jahre 1856. Um diese Zeit ging das Gerücht um, er habe beträchtliche Summen verdient, indem er sich mit einem Kolonialwarenhändler, seinem Nachbarn, zusammentat, der mit einer Lieferung von Trockengemüse für die Orientarmee beauftragt war. Tatsache war, daß er ein Jahr lang von seinen Zinsen lebte, nachdem er die Bratküche verkauft hatte. Aber er sprach nicht gern von dem Ursprung seines Vermögens; das war ihm peinlich und hinderte ihn, über den Krimkrieg26, den er als ein abenteuerliches Unternehmen bezeichnete, »einzig durchgeführt, um den Thron zu festigen und gewisse Taschen zu füllen«, rundheraus seine Meinung zu sagen. Nach einem Jahr langweilte er sich tödlich in seiner Junggesellenwohnung. Da er den QuenuGradelles fast täglich einen Besuch abstattete, zog er näher zu ihnen und nahm sich eine Wohnung in der Rue de la Cossonnerie. Dort war es, wo ihn die Hallen mit ihrem Lärm und ihrem ungeheuren Klatsch in ihren Bann zogen. Er entschloß sich, in der Geflügelhalle einen Stand zu mieten, lediglich um sich zu zerstreuen und seine leeren Tage mit dem Tratsch des Marktes auszufüllen. Nun lebte er mitten in diesem endlosen Geschwätz, war über den geringsten Skandal im Viertel auf dem laufenden, und der Kopf summte ihm von dem unausgesetzten Stimmengekreisch um ihn. Er kostete dort tausend prickelnde Freuden, war selig, sein Element gefunden zu haben und sich mit den Wonnen eines in der Sonne schwimmenden Karpfens darin zu versenken. Manchmal kam Florent ihm an seinem Stand die Hand drücken. Die Nachmittage waren noch sehr heiß. Längs der schmalen Gänge saßen die Frauen und rupften. Sonnenstreifen fielen zwischen die hochgezogenen Markisen; die Federn flogen gleich tanzendem Schnee in der glühenden Luft und im Goldstaub der Strahlen unter den Fingern davon. Zurufe, ein ganzes Kielwasser von Angeboten und Schmeichelworten folgten Florent. »Eine schöne Ente, mein Herr? – Kommen Sie zu mir sehen … Ich habe wunderschöne fette Hühner … Mein Herr, mein Herr, kaufen Sie mir dieses Taubenpaar ab …« Er riß sich los, belästigt, halb taub. Die Frauen rupften weiter und stritten sich dabei um ihn. Wolken feiner Flaumfedern senkten sich herab, benahmen ihm mit einem vom strengen Geruch des Geflügels gleichsam erhitzten und stickig gewordenen Dunst den Atem. Schließlich fand er in der Mitte des Ganges bei der Wasserleitung Gavard, der in Hemdsärmeln, die Arme über dem Latz seiner blauen Schürze gebeugt, vor seinem Stand hochtrabend daherredete. Dort herrschte er inmitten einer Gruppe von zehn, zwölf Weibern und sah dabei aus wie ein leutseliger Fürst. Er war der einzige Mann auf dem Markt. Er hatte ein so ausdauerndes Mundwerk, daß er, nachdem er sich mit fünf oder sechs Mädchen, die er nacheinander einstellte, damit sie ihm den Laden führten, überworfen hatte,
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