Der Bauch von Paris - 3
Achseln. Die Tür in der verglasten Wand krachte jedoch heftig, und ein Buckliger erschien. Florent erkannte den Buckligen von der Auktion; er hatte die Hände gewaschen, war sauber angezogen und trug ein großes rotes Halstuch, von dem ein Ende wie der Zipfel eines venezianischen Mantels auf seinen Buckel herabhing.
»Ah, da ist Logre«, sprach der Geflügelhändler weiter, »er wird uns sagen, was er über die Thronrede denkt.«
Aber Logre war wütend. Beinahe hätte er den Kleiderhaken heruntergerissen, als er den Hut und das Halstuch anhängte. Er setzte sich heftig auf einen Stuhl, schlug mit der Faust auf den Tisch, stieß die Zeitung zurück und sagte:
»Lese ich denn das, ich, deren verfluchte Lügen!« Dann platzte er los: »Hat man jemals Arbeitgeber gesehen, die sich sowenig um die Leute kümmern! Seit zwei Stunden warte ich auf mein Gehalt. Wir waren ungefähr zehn im Bureau. Freilich! Ihr könnt ja warten, ihr Schafsköpfe … Endlich ist Herr Manoury gekommen, im Wagen, sicher von irgendeinem liederlichen Frauenzimmer. Diese Kommissionäre, die stehlen, die lassen sich’s gut sein … Und dann hat er mir noch alles in großem Geld gegeben, dieses Schwein!«
Robine pflichtete Logre mit einer leichten Bewegung der Augenlider bei.
Unversehens fand der Bucklige ein Opfer.
»Rose! Rose!« rief er, den Kopf zur Tür hinaussteckend, und als die junge Frau zitternd vor ihm stand: »Was soll denn das heißen! Wann werden Sie mich wohl endlich ansehen! – Sie sehen mich hereinkommen, und Sie bringen mir meinen Mazagran28 nicht!«
Gavard betellte zwei weitere Mazagrans. Unter Logres strengem Blick, der die Gläser und die kleinen Zuckerplättchen zu mustern schien, beeilte sich Rose, die drei Getränke zu servieren. Er trank einen Schluck und beruhigte sich ein wenig.
»Da ist Charvet, der es auch satt haben dürfte«, sagte Logre nach einigen Augenblicken. »Er wartet draußen auf Clémence.«
Aber Charvet trat schon ein, Clémence folgte ihm. Es war ein langer, sorgfältig rasierter, knochiger Bursche mit einer schmalen Nase und dünnen Lippen, der in der Rue Vavin hinter dem Jardin du Luxembourg29 wohnte. Er bezeichnete sich als Privatlehrer. Seiner politischen Überzeugung nach war er Hébertist30. Mit seinen langen, rundgeschnittenen Haaren, den über die Maßen weit zurückgeklappten Aufschlägen seines abgetragenen Gehrocks spielte er sich wie ein Mitglied des Konvents31 auf mit einer Flut scharfer Worte, einer so sonderbar hochmütigen Gelehrsamkeit, daß er im allgemeinen seine Gegner schlug. Gavard hatte Angst davor, ohne es zuzugeben; wenn Charvet nicht anwesend war, erklärte er, der gehe wirklich zu weit. Robine billigte alles mit den Augenlidern. Logre allein bot Charvet manchmal in der Lohnfrage die Stirn. Aber Charvet blieb der unumschränkte Herrscher der Gruppe, weil er der Herrischste und der Gebildetste war. Seit über zehn Jahren lebten Clémence und er auf umstrittenen Grundlagen und nach einem von der einen wie von der anderen Seite strikt innegehaltenen Vertrage wie verheiratet. Florent, der die junge Frau mit einigem Erstaunen betrachtete, erinnerte sich schließlich, wo er sie gesehen hatte; sie war keine andere als die brünette Listenführerin, die mit ganz ausgestreckten Fingern schrieb wie ein Fräulein, das eine höhere Schule besucht hat.
Rose folgte den beiden Neuangekommenen auf dem Fuße; ohne etwas zu sagen, setzte sie ein Glas Bier vor Charvet und ein Tablett vor Clémence hin, die sogleich daranging, sich bedächtig ihren Grog zuzubereiten, indem sie heißes Wasser auf die Zitrone goß, die sie mit einem Löffel zerdrückte, Zucker und Rum dazutat und dabei an der kleinen Karaffe nachsah, um ihr vorgeschriebenes Maß nicht zu überschreiten. Gavard machte nun Florent mit den Herren bekannt, besonders mit Charvet. Er stellte beide einander als Lehrer vor, als sehr fähige Männer, die sich verstehen würden. Aber es war anzunehmen, daß er schon geplaudert hatte, denn alle tauschten Händedrücke, wobei sie sich nach Freimaurerart die Finger preßten. Charvet war sogar fast liebenswürdig. Im übrigen vermied man jegliche Anspielung.
»Hat Manoury Sie in Hartgeld bezahlt?« fragte Logre Clémence.
Sie bejahte und holte Rollen von Ein und Zweifrancsstücken hervor, die sie aufmachte. Charvet sah ihr zu und folgte mit den Augen den Geldrollen, die sie eine nach der anderen, nachdem sie den Inhalt geprüft hatte, wieder in die Tasche steckte.
»Wir müssen
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