Der Bauch von Paris - 3
gegenüber. Sie blieb aufgepflanzt vor ihnen stehen und fragte mit ihrem Gehabe einer Königin:
»Ist es denn schon ganz entschieden, daß Sie uns verlassen, Herr Verlaque?«
»Ja, ja«, antwortete das Männlein. »Ich gehe aufs Land nach Clamart mich ausruhen. Anscheinend bekommt mir der Fischgeruch schlecht … Dieser Herr hier wird mich vertreten.« Er drehte sich um und zeigte auf Florent.
Der schönen Normande blieb die Luft weg. Und als sich Florent entfernte, glaubte er zu hören, wie sie ihren Nachbarinnen mit ersticktem Lachen ins Ohr flüsterte: »Na, da werden wir aber unseren Spaß haben!«
Die Fischfrauen begannen ihre Auslagen herzurichten. Aus allen Hähnen gleichzeitig floß das Wasser in vollen Strömen über die Marmorbänke. Es war ein Platzregengeräusch, ein Rauschen steifer Wasserstrahlen, die aufklatschten und wieder zurückspritzten; von den Rändern der abschüssigen Bänke rannen dicke Tropfen mit dem sanften Murmeln einer Quelle, wurden schmutzig in den Gängen, wo kleine Bäche flossen und einzelne Vertiefungen mit einem See füllten, aus denen sie in tausend Abzweigungen herauskamen und den Abhang zur Rue Rambuteau hinunterliefen. Ein feuchter Brodem stieg auf, ein Sprühregen, der Florent jenen frischen Hauch ins Gesicht blies, diesen bitteren und salzigen Seewind, den er wiedererkannte, während er in den ersten Fischauslagen das rosige Perlmutt, das blutige Korallenrot, das Milchweiß der Perlen und alles Schillern und alle graugrüne Blässe des Ozeans wiederfand.
Dieser erste Vormittag machte ihn sehr unschlüssig. Er bedauerte, Lisa nachgegeben zu haben. Schon als er am nächsten Tage der fettigen Schläfrigkeit der Küche entronnen war, hatte er sich Feigheit vorgeworfen, und zwar mit solcher Heftigkeit, daß ihm fast die Tränen in die Augen getreten waren. Aber er wagte nicht, von seinem Wort zurückzutreten; Lisa jagte ihm etwas Angst ein. Er sah die Falte um ihre Lippen, den stummen Vorwurf ihres schönen Gesichts. Er behandelte sie als eine zu ernsthafte und in sich zu gefestigte Frau, als daß er ihr hätte widersprechen können. Glücklicherweise brachte ihn Gavard auf einen Gedanken, der ihn tröstete. Noch am Abend des Tages, da ihn Herr Verlaque in den Auktionen herumgeführt hatte, nahm ihn Gavard beiseite und erklärte ihm mit viel Geheimnistuerei, daß »der arme Teufel« nicht glücklich dran sei. Nach allerhand Betrachtungen über diese schuftige Regierung, die ihre Beamten sich fast zu Tode arbeiten lasse, ohne ihnen auch nur das zu sichern, was sie zum Sterben brauchten, entschloß er sich, zu verstehen zu geben, daß es sehr menschenfreundlich wäre, einen Teil der Bezüge dem ehemaligen Aufseher zu überlassen. Florent nahm diese Idee mit Freuden auf. Das war nur gerecht; er betrachtete sich als vorübergehender Vertreter von Herrn Verlaque. Übrigens brauchte er nichts, weil er doch bei seinem Bruder schlief und aß. Gavard fügte hinzu, daß es ihm sehr hübsch erschiene, wenn er von den hundertfünfzig Francs monatlich fünfzig Francs abträte; und, die Stimme dämpfend, machte er darauf aufmerksam, daß das nicht lange dauern würde, weil der Ärmste wirklich bis auf die Knochen schwindsüchtig sei. Sie kamen überein, daß Florent die Frau aufsuchen und sich mit ihr verständigen solle, um den Mann nicht zu verletzen. Diese gute Tat erleichterte ihn, und er nahm nun die Stellung mit dem Gedanken der Uneigennützigkeit an. Er blieb damit in der Rolle, die er sein Leben lang gespielt hatte. Nur mußte ihm der Geflügelhändler schwören, zu niemand von dieser Abmachung zu sprechen. Und da dieser ebenfalls eine unbestimmte Furcht vor Lisa hatte, bewahrte er das Geheimnis, was man ihm hoch anrechnen mußte.
Jetzt war die ganze Fleischerei glücklich. Die schöne Lisa zeigte sich sehr freundlich zu ihrem Schwager. Sie schickte ihn zeitig schlafen, damit er am Morgen aufstehen könne. Sie hielt ihm sein Mittagessen warm. Sie schämte sich nicht mehr, mit ihm auf dem Bürgersteig zu plaudern, jetzt, da er eine betreßte Mütze trug. Quenu, der entzückt war über diese gute Fügung, hatte sich noch nie so ohne alle Umstände abends zwischen seinem Bruder und seiner Frau an den Tisch gesetzt. Das Abendessen zog sich oft bis neun Uhr hin, und Augustine blieb solange hinter dem Ladentisch. Es war ein langes Verdauen, unterbrochen von Geschichten aus dem Viertel und den positiven Urteilen, die die Fleischersfrau über die Politik abgab. Florent mußte erzählen,
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