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Der Bauch von Paris - 3

Der Bauch von Paris - 3

Titel: Der Bauch von Paris - 3 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Émile Zola
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Scheiben mit einem Muster kleiner Karos weiß angestrichen waren, abgetrennt war. Tagsüber wurde es durch ein auf die Rue Pirouette gehendes Fenster mit trüber Helligkeit erleuchtet; abends brannte darin über den beiden mit Marmorimitationen bemalten Tischen eine Gaslampe. Dort war es, wo sich Gavard und seine politischen Freunde jeden Abend nach dem Essen zu treffen pflegten. Sie fühlten sich hier wie zu Hause und hatten den Wirt daran gewöhnt, den Platz für sie frei zu halten. Wenn der letzte von ihnen die Glastür hinter sich geschlossen hatte, wußten sie sich dort in so sicherer Hut, daß sie ganz frei heraus von dem »Großreinemachen« sprachen. Kein Gast hätte gewagt, bei ihnen einzutreten.
    Am ersten Tag erzählte Gavard Florent einige Einzelheiten über den Wirt. Er sei ein redlicher Mann, der gelegentlich seinen Kaffee bei ihnen trinken kam. Man tue sich keinen Zwang an vor ihm, denn er habe eines Tages erzählt, daß er im Jahre 1848 mitgekämpft habe. Er spreche wenig und wirke wie ein Trottel. Bevor diese Herren das kleine Gelaß betraten, gab ihm jeder von ihnen im Vorbeigehen über die Gläser und Flaschen hinweg schweigend einen Händedruck. Meistens saß neben ihm auf der roten Lederbank eine kleine Blondine, ein Mädchen, das er für die Bedienung am Schanktisch eingestellt hatte außer dem Kellner mit der weißen Schürze, der sich mit den Tischen und dem Billardzimmer beschäftigte. Sie hieß Rose und war sehr sanft und sehr fügsam. Augenzwinkernd erzählte Gavard Florent, daß sie in ihrer Fügsamkeit dem Wirt gegenüber reichlich weit ginge. Übrigens ließen sich diese Herren von Rose bedienen, die mit ihrer demütigen und glücklichen Miene ein und aus ging inmitten der stürmischsten politischen Erörterungen.
    An dem Tage, da der Geflügelhändler Florent seinen Freunden vorstellte, trafen sie, als sie das kleine verglaste Gelaß betraten, nur einen Herrn von etwa fünfzig Jahren an mit nachdenklichem und sanftem Aussehen, einem zweifelhaften Hut und einem großen kastanienbraunen Überzieher. Vor einem vollen Bierseidel, das Kinn auf den Elfenbeinknauf eines dicken Spazierstocks gestützt, verlor sich sein Mund so tief in dem mächtigen Bart, daß sein Gesicht stumm und ohne Lippen zu sein schien.
    »Wie geht’s, Robine?« fragte Gavard.
    Robine reichte ihm, ohne zu antworten, die Hand zum Druck, während ein unbestimmtes Lächeln der Begrüßung seine Augen milder machte. Dann legte er das Kinn wieder auf den Knauf seines Spazierstocks und betrachtete Florent über sein Bierglas hinweg. Florent hatte Gavard schwören lassen, seine Geschichte niemand zu erzählen, um gefährliches Ausplaudern zu vermeiden. Er nahm es nicht übel, als er in der vorsichtigen Haltung dieses Herrn mit dem mächtigen Bart gewisses Mißtrauen bemerkte. Aber er täuschte sich. Robine sprach niemals mehr. Er kam stets als erster Punkt acht Uhr, setzte sich in dieselbe Ecke, ohne seinen Stock aus der Hand zu lassen, legte weder seinen Hut noch seinen Überzieher ab. Niemand hatte jemals Robine ohne Hut auf dem Kopf gesehen. Er blieb bis Mitternacht da, hörte den anderen zu, brauchte vier Stunden, um sein Glas Bier zu leeren, blickte die Sprechenden einen nach dem anderen an, als verstehe er sie mit den Augen. Als Florent Gavard später über Robine ausfragte, schien dieser einen großen Fall daraus zu machen: er sei ein sehr mächtiger Mann. Ohne klar sagen zu können, wo er die Beweise dafür geliefert, bezeichnete er ihn als einen der von der Regierung am meisten gefürchteten Männer der Opposition. Er bewohne in der Rue SaintDenis eine Wohnung, die niemand betrete. Der Geflügelhändler erzählte allerdings, einmal dagewesen zu sein. Das gebohnerte Parkett sei mit grünen Stoffläufern geschützt; es seien da Schonbezüge auf den Polstermöbeln und eine Säulenstutzuhr aus Alabaster. Frau Robine, deren Rücken er zwischen zwei Türen gesehen zu haben glaubte, müsse eine sehr vornehme alte Dame sein mit einer Schmachtlockenfrisur, was er allerdings nicht mit Sicherheit behaupten könne. Niemand wisse, warum sich das Ehepaar im Lärm dieses Geschäftsviertels eingemietet habe; der Mann tue überhaupt nichts, verbringe seine Tage, man wisse nicht wo, lebe, man wisse nicht wovon, und erscheine jeden Abend, gleichsam müde und entzückt von einem Abstecher auf die Gipfel der hohen Politik.
    »Na, die Thronrede, haben Sie die gelesen?« fragte Gavard und nahm eine Zeitung vom Tisch.
    Robine zuckte die

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