Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Bauch von Paris - 3

Der Bauch von Paris - 3

Titel: Der Bauch von Paris - 3 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Émile Zola
Vom Netzwerk:
genau ausrechnen. Die Dämmerung brach herein. Es gab Lärm von hin und her gerückten Kisten. Die Fische wurden zur Nacht auf Eislager gebettet.
    Nachdem Florent noch dem Schließen der Gittertore beigewohnt hatte, nahm er den Fischmarkt in seinen Kleidern, seinen Haaren und seinem Bart mit sich.
    In den ersten Monaten litt er nicht zu sehr unter diesem durchdringenden Geruch. Der Winter war streng. Das Glatteis verwandelte die Gänge in Spiegel; die Eiszapfen setzten weiße Spitzen an die Marmortische und Wasserleitungen. Morgens mußten kleine Kohlenbecken unter den Wasserhähnen angezündet werden, damit ein dünner Strahl herauskam. Die gefrorenen Fische mit den gekrümmten Schwänzen waren matt und rauh wie stumpfes Metall und klangen spröde wie fahles Gußeisen. Bis in den Februar hinein wirkte die Halle trübselig, stachlig, trostlos in ihrem Leichentuch von Eis. Aber es kamen das Tauwetter, die milde Witterung, die Nebel, die Märzregen. Die Fische wurden weich und schwammen. Gerüche von verdorbenem Fleisch vermischten sich mit dem faden Schlammhauch, der von den Nachbarstraßen herüberkam. Ein noch unbestimmter Gestank, eine ekligfeuchte Süßlichkeit, lag dicht über dem Erdboden. An den glühenden Juninachmittagen stieg dann der Gestank und machte die Luft schwer von Pestdunst. Die oberen Fenster wurden geöffnet. Große Markisen aus grauem Stoff hingen unter dem brennenden Himmel. Ein Feuerregen fiel auf die Markthallen und erhitzte sie wie einen Plattenofen. Kein Wind fegte diesen Dunst von verfaulten Seefischen davon. Die Verkaufsstände dampften.
    Florent litt unter dieser Nahrungsanhäufung, in der er lebte. Die Ekelanwandlungen aus der Feischerei überkamen ihn von neuem, noch unerträglicher. Er hatte ebenso schrecklichen Gestank ausgehalten, aber der rührte nicht vom Bauch her. Sein enger Magen eines hageren Menschen empörte sich, wenn Florent an diesen Auslagen mit viel Wasser naßgehaltener Fische vorüberging, die ein Schlag Hitze schlecht werden ließ. Sie fütterten ihn mit ihren starken Gerüchen. Sie erstickten ihn, als habe er einen von Dünsten verdorbenen Magen. Wenn er sich in sein Bureau einschloß, folgte ihm das Ekelgefühl, das durch das schlecht zusammengefügte Holzwerk von Tür und Fenstern drang. An Tagen mit grauem Himmel blieb der kleine Raum ganz schwarz. Es war wie eine lange Dämmerung auf dem Grund eines Erbrechen erregenden Morasts. Von nervösen Angstzuständen ergriffen, hatte er oft das Bedürfnis zu wandern; er stieg über die breite gewundene Treppe, die sich in der Mitte der Halle eingräbt, in die Keller hinunter. Hier in der eingeschlossenen Luft, im Dämmerlicht der wenigen Gasflammen fand er die Frische reinen Wassers wieder. Er blieb vor dem großen Fischbecken stehen, in dem der Vorrat an lebenden Fischen aufbewahrt wird. Er lauschte dem ununterbrochenen Sang der vier Wasserstrahlen, die von den Ecken des mittleren Gefäßes herabfielen und unter den abgeschlossenen Gittern der Becken mit dem sanften Geräusch eines fortwährenden Strömens zu einer Fläche zusammenflossen. Diese unterirdische Quelle, dieser im Dunkeln murmelnde Bach, beruhigte ihn. Abends erfreute er sich auch an den schönen Sonnenuntergängen, die die feinen Spitzen der Markthallen schwarz vom roten Schein des Himmels abhoben. Das Licht des späten Nachmittags und der in den letzten Sonnenstrahlen wirbelnde Staub drangen durch alle Öffnungen, alle Schlitze der Jalousien; es war wie ein leuchtendes, mattes, durchschimmerndes Ölpapier, auf dem sich die dünnen Gräten der Pfeiler, die eleganten Schwingungen des Gebälks, die geometrischen Figuren der Bedachungen abzeichneten. Seine Augen wurden erfüllt von dieser gewaltigen, mit chinesischer Tusche auf Pergament gewaschenen Skizze, und er begann wieder zu träumen von irgendeiner riesigen Maschine mit ihren Rädern, ihren Hebeln und Schwengeln, die im dunklen Purpur des unter dem Kessel lodernden Kohlenfeuers kurz zu sehen war. In jeder Stunde veränderte so das Spiel des Lichts das Profil der Markthallen vom ersten Blauen des Morgens und den schwarzen Schatten des Mittags bis zur Feuersbrunst der untergehenden Sonne, die in der grauen Asche der Dämmerung verlosch. Aber an diesen flammenden Abenden, wenn der Gestank aufstieg und wie heißer Rauch die großen gelben Strahlen mit einem Schauder durchzog, schüttelte ihn von neuem Übelkeit, entschwand sein Traum, und er stellte sich riesenhafte Schwitzkästen vor, stinkende

Weitere Kostenlose Bücher