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Der Bauch von Paris - 3

Der Bauch von Paris - 3

Titel: Der Bauch von Paris - 3 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Émile Zola
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hell wurde und in den schwarzen Ecken allerhand Gemüse herumlag. Auch die enge, wenig belebte Rue au Lard mit ihrem breiten, auf die Rue de la Lingerie führenden Bogengang war sehr unterhaltend. Die Haustür befand sich unmittelbar neben dem Bogengang, eine niedrige Tür, deren Flügel sich nur halb auf die schmierigen Stufen einer Wendeltreppe öffnete. Dieses Haus mit Regenschutzdach, das verquollen und ganz dunkel war vor Feuchtigkeit und auf jedem Stockwerk den grün gewordenen Ausgußkasten hatte, wurde selber auch ein großes Spielzeug. Cadine und Marjolin verbrachten ihre Vormittage damit, von unten Steine hochzuwerfen, und zwar so, daß sie in die Ausgüsse fielen. Die Steine kollerten dann in den Abflußrohren hinunter und machten dabei einen ergötzlichen Lärm. Sie zerschlugen jedoch zwei Fensterscheiben und verstopften die Rohre derartig mit Kieseln, daß Mutter Chantemesse, die seit dreiundvierzig Jahren in dem Hause wohnte, beinahe gekündigt wurde.
    Cadine und Marjolin richteten nun ihre Angriffe auf die Möbelwagen, Sturzkarren und Rollwagen, die in der einsamen Straße hielten. Sie kletterten auf die Räder, schaukelten sich auf den Ketten, erklommen die Stapel von Kisten und Körben. Die nach hinten gelegenen Speicher der Kommissionäre in der Rue de la Poterie erschlossen dort weite düstere Räume, die sich von einem Tag zum andern füllten und wieder leerten und zu jeder Stunde neue entzückende Löcher aussparten, Verstecke, wo die Straßenkinder im Duft von getrockneten Früchten, von Orangen und von frischen Äpfeln die Zeit vergaßen. Waren sie dessen müde, dann gingen sie wieder Mutter Chantemesse auf dem Marché des Innocents aufsuchen. Arm in Arm kamen sie dort an, überquerten unter Lachen die Straßen inmitten der Wagen und hatten keine Angst, überfahren zu werden. Sie kannten das Pflaster und versanken bis zu den Knien mit ihren kleinen Beinen in den welken Gemüseblättern. Sie rutschten nicht aus und machten sich darüber lustig, wenn sich irgendein Rollkutscher mit schweren Schuhen auf den Rücken legte und alle viere in die Luft streckte, weil er auf einen Artischockenstiel getreten war. Sie waren die rosigen Hausteufelchen dieser schmierigen Straßen. Man sah nur sie. Bei Regenwetter spazierten sie gravitätisch unter einem riesigen, völlig zerfetzten Sonnenschirm umher, den die Kleinhändlerin zwanzig Jahre lang über ihrem Gemüsekorb aufgespannt hatte; sie stellten ihn gravitätisch an einer Ecke des Marktes auf und nannten das »ihr Haus«. An sonnigen Tagen tollten sie umher, daß sie sich am Abend nicht mehr rühren konnten; sie nahmen Fußbäder in der Wasserleitung, bauten Schleusen, indem sie die Rinnsteine verstopften, versteckten sich unter Gemüsehaufen und blieben da im Frischen beim Schwatzen wie nachts in ihrem Bett. Wenn man an einem Berg Lattich oder römischen Salat vorbeiging, hörte man oft gedämpftes Geplapper herausdringen. Wurde der Salat weggeräumt, sah man sie Seite an Seite mit lebhaften Augen und unruhig wie tief im Gebüsch aufgestöberte Vögel auf ihrem Blätterlager ausgestreckt liegen. Cadine konnte Marjolin nicht mehr entbehren, und Marjolin weinte, wenn er Cadine verlor. Wenn sie einmal getrennt wurden, suchten sie sich hinter allen Röcken in den Markthallen, in den Kisten, unter den Kohlköpfen. Und besonders unter den Kohlköpfen wuchsen sie auf und hatten sich lieb.
    Marjolin war nun bald acht Jahre und Cadine sechs, als Mutter Chantemesse ihnen ihre Faulheit vorhielt. Sie sagte ihnen, sie beabsichtige sie an ihrem Kleinhandel zu beteiligen, und versprach ihnen einen Sou täglich, falls sie ihr beim Putzen des Gemüses halfen. An den ersten Tagen zeigten die Kinder einen schönen Eifer. Sie ließen sich mit schmalen Messern zu beiden Seiten des Gemüsekorbs nieder und waren sehr aufmerksam bei der Arbeit. Geputztes Gemüse war Mutter Chantemesses Spezialität; auf ihrem mit einem schwarzen feuchten Tuch bespannten Tisch lagen aufgereiht Kartoffeln, Kohlrüben, Möhren und weiße Zwiebeln, jeweils vier zu einer Pyramide – drei als Unterbau und eine als Spitze – aufgestellt, fix und fertig, um in die Schmorpfannen von Hausfrauen, die sich verspätet hatten, getan zu werden. Sie hatte auch für den Suppentopf geschnürte Bunde, vier Porreestangen, drei Möhren, eine Pastinake, zwei Kohlrüben, zwei Selleriestengel, nicht zu reden von den sehr fein geschnittenen frischen Suppenkräutern auf Papierbogen, den in vier Stücke geteilten

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