Der Bauch von Paris - 3
duftende Mahd, zwei dichte Rosenhecken, zwischen denen die Mädchen des Viertels, lächelnd und von dem allzu starken Duft ein wenig benommen, hindurchzugehen liebten; und oberhalb der Auslagen befinden sich künstliche Blumen, Blattwerk aus Papier, auf dem Gummitropfen Tautropfen bilden, Friedhofskränze aus schwarzen und weißen Perlen, die in blauen Reflexen schillern. Cadine blähte ihr rosiges Naschen mit katzenhafter Sinnlichkeit, verweilte in dieser lieblichen Frische und nahm von dem Duft so viel mit, wie sie vermochte; wenn sie ihren Haarschopf Marjolin unter die Nase hielt, meinte er, das rieche nach Nelken. Sie schwor, daß sie keine Pomade mehr benütze, daß es genüge, durch den Blumengang zu gehen. Dann richtete sie es so ein, daß sie bei einer der Händlerinnen angestellt wurde. Nunmehr fand Marjolin, sie sei wohlriechend vom Kopf bis zu den Füßen. Sie lebte unter Rosen, Flieder, Goldlack und Maiglöckchen. Er schnupperte wie im Spiel lange an ihrem Rock, schien zu suchen und sagte schließlich: »Das riecht nach Maiglöckchen.« Dann höher, an der Taille, am Mieder, schnüffelte er stärker: »Das riecht nach Goldlack!« Und an den Ärmeln, am Ansatz der Handgelenke: »Das riecht nach Flieder.« Und am Nacken, rings um den Hals, auf den Wangen, auf den Lippen: »Das riecht nach Rosen.« Cadine lachte, nannte ihn »Dummkopf« und schrie, er solle aufhören, weil er sie mit seiner Nasenspitze kitzele. Ihr Atem duftete nach Jasmin. Sie war ein warmer und lebender Strauß.
Jetzt stand die Kleine um vier Uhr auf, um ihrer Brotherrin bei den Einkäufen zu helfen. Jeden Morgen waren es ganze Armvoll Blumen, die sie bei den Gärtnern aus dem Stadtrandgebiet kauften, Päckchen von Moos, Farnkraut und Immergrün zum Einfassen der Sträuße. Cadine staunte die Brillanten und Valencienner Spitzen an, die die Töchter der großen Gärtner aus Montreuil trugen, wenn sie mit ihren Rosen ankamen. An den Festtagen der heiligen Maria, des heiligen Petrus, des heiligen Joseph, der meistgefeierten Namensheiligen begann der Verkauf um zwei Uhr. Für über hunderttausend Francs wurden Schnittblumen auf dem Markt verkauft; Kleinhändlerinnen verdienten in wenigen Stunden bis zu zweihundert Francs. An solchen Tagen waren von Cadine nur die gekräuselten Haarsträhnen über den Bunden von Stiefmütterchen, Reseda und Margeriten zu sehen. Sie war völlig versunken und verloren in den Blumen; während des ganzen Tages band sie Sträuße mit Bast zusammen. In wenigen Wochen hatte sie darin eine große Geschicklichkeit und eigentümliche Anmut erworben. Ihre Sträuße gefielen nicht jedermann; sie erregten ein Lächeln und wirkten beunruhigend durch eine Seite grausamer Urwüchsigkeit. Das Rot herrschte vor, unterbrochen von grellen Tönen, von Blau, Gelb und Violett von barbarischem Reiz. An den Morgen, da sie Marjolin zwickte und bis zum Weinen hänselte, machte sie unbändige Sträuße, die Sträuße eines wütenden Mädchens mit herben Düften und zornigen Farben. An anderen Morgen, wenn sie von irgendeinem Schmerz oder irgendeiner Freude gerührt war, erfand sie sehr zarte verschleierte Sträuße von silbrigem Grau und verschwiegenem Duft. Dann waren es wie offene Herzen blutende Rosen in Seen von weißen Nelken, fahlrote Gladiolen, die als flammende Helmbüsche aus dem verstörten Grün aufstiegen, Smyrnateppiche mit verwickelten Mustern, die Blüte um Blüte wie auf Kanevas gestickt waren, mit der Zartheit von Spitzen sich ausbreitende schillernde Fächer, anbetungswürdige Reinheiten, undurchdringlich gewordene Schnitzereien, Träume, die in die Hände von Heringsweibern oder von Marquisen gelegt wurden, jungfräuliche Unbeholfenheiten und dirnenhafte sinnliche Gluten, die ganze köstliche Phantasie eines zwölfjährigen Gassenmädchens, in dem die Frau erwacht.
Cadine hatte nur vor zwei Dingen Ehrfurcht: vor weißem Flieder, von dem das Bund von acht bis zehn Stielen im Winter fünfzehn bis zwanzig Francs kostet, und vor Kamelien, die noch teurer sind und die, je ein Dutzend in Schachteln verpackt, auf eine Moosunterlage gebettet und mit einer Watteschicht zugedeckt, eintrafen. Behutsam, als seien es Juwelen, nahm sie sie heraus und hielt den Atem an aus Furcht, sie mit einem Hauch zu verderben; mit unendlicher Vorsicht befestigte sie ihre kurzen Stengel an Schilfhalmen. Mit tiefem Ernst sprach sie von ihnen. Sie erzählte Marjolin, eine schöne weiße Kamelie ohne Rostfleck sei etwas sehr Seltenes und vollkommen
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