Der Bauch von Paris - 3
so wie jetzt in deinem warmen Bett liegen würdest? Und wenn du in die Küche hinuntergehst, dich ebenso friedlich an deine Sülze machen kannst, wie du es nachher tun wirst? Nein, nicht wahr? – Also, warum redest du davon, die Regierung zu stürzen, die dich beschützt und dir gestattet, Ersparnisse zu machen? Du hast eine Frau, du hast eine Tochter, denen du zu allererst zu gehören hast. Du würdest Schuld auf dich laden, wenn du ihr Glück aufs Spiel setztest. Bloß Leute, die kein Dach über dem Kopfe und nichts zu verlieren haben, wollen Flintenschüsse. Willst du vielleicht der Reingefallene bei der Posse sein? Bleibe also zu Hause, großes Schaf, schlaf schön, iß gut, verdiene Geld, hab ein ruhiges Gewissen und sage dir, daß sich Frankreich schon allein aus der Patsche helfen wird, wenn das Kaiserreich ihm Scherereien macht. Dich braucht Frankreich nicht!« Sie lachte ihr schönes Lachen.
Quenu war durchaus überzeugt. Lisa hatte letzten Endes recht; und sie war eine schöne Frau, wie sie da auf dem Bettrand saß, schon so früh am Morgen gekämmt, so sauber und so frisch mit ihrem blendenden Linnen. Während er Lisa zuhörte, betrachtete er ihre Bilder zu beiden Seiten des Kamins; gewiß, sie waren ehrbare Leute, sie sahen ganz untadelig aus, schwarz gekleidet und in Goldrahmen. Auch das Zimmer wirkte auf ihn wie ein Zimmer vornehmer Leute. Die viereckigen Gipüredeckchen breiteten eine Art Rechtschaffenheit über die Stühle. Der Teppich, die Vorhänge, die Porzellanvasen mit den Landschaften sprachen von ihrer Arbeit und ihrem Geschmack für das Behagliche. Er vergrub sich noch mehr unter der Daunendecke, wo er sanft in einer Badewannenwärme schmorte. Ihm war, als habe er bei Herrn Lebigre beinahe alles verloren, sein riesiges Bett, sein so gut abgeschlossenes Zimmer, seine Fleischerei, an die er jetzt mit gerührten Gewissensbissen dachte. Und von Lisa, von den Möbeln, von diesen lieben Dingen, die ihn umgaben, stieg ein Wohlbehagen auf, das ihm auf köstliche Weise ein wenig den Atem benahm.
»Dummchen«, sagte seine Frau zu ihm, als sie sah, daß er besiegt war. »Du hast da einen schönen Weg eingeschlagen. Aber sieh doch, du hättest über unsere Leichen, über Paulines und meine, gehen müssen … Und du läßt dich nicht mehr damit ein, die Regierung zu beurteilen, nicht wahr? Alle Regierungen sind übrigens gleich. Man unterstützt diese, man würde auch eine andere unterstützen, das ist notwendig. Hauptsache, daß man, wenn man alt ist, in Ruhe seine Zinsen verzehren kann mit der Gewißheit, sie ehrlich verdient zu haben.«
Quenu nickte zustimmend. Er wollte eine Rechtfertigung beginnen.
»Es ist Gavard …«, murmelte er.
Aber sie wurde ernst und unterbrach ihn scharf:
»Nein, es ist nicht Gavard … Ich weiß, wer es ist. Derjenige würde guttun, an seine eigene Sicherheit zu denken, bevor er andere in Ungelegenheiten bringt.«
»Du willst von Florent sprechen?« fragte Quenu schüchtern nach einem Schweigen.
Lisa antwortete nicht sogleich. Sie erhob sich und kehrte zum Schreibsekretär zurück, wie um sich mit Gewalt zurückzuhalten. Dann sagte sie mit klarer Stimme:
»Ja, von Florent … Du weißt, wie geduldig ich bin. Um nichts in der Welt möchte ich mich zwischen deinen Bruder und dich stellen wollen. Familienbande sind etwas Heiliges. Aber das Maß ist schließlich voll. Seitdem dein Bruder hier ist, wird es immer schlimmer … Übrigens, nein, ich will nichts sagen, das ist beser.«
Erneut trat Schweigen ein. Und da ihr Mann verlegen die Alkovendecke betrachtete, fuhr sie heftiger fort:
»Was soll man schließlich dazu sagen? Er scheint nicht einmal zu begreifen, was wir für ihn tun. Wir schränken uns ein, wir haben ihm Augustines Stube gegeben, und das arme Mädchen schläft, ohne sich zu beklagen, in einer Kammer, wo sie nicht genug Luft hat. Mittags und abends bekommt er bei uns zu essen. Den Kleinkram nehmen wir ihm ab … Nichts! Er nimmt das als selbstverständlich hin. Er verdient Geld, und man weiß bloß nicht, wo er es läßt, oder man weiß es vielmehr nur zu gut.«
»Die Erbschaft ist doch da«, wagte Quenu einzuwenden, den es schmerzte, diese Beschuldigungen seines Bruders zu hören.
Lisa blieb kerzengerade stehen, wie benommen. Ihr Zorn legte sich.
»Du hast recht, die Erbschaft ist doch da … Die Aufstellung ist hier im Schubfach. Er hatte nichts davon wissen wollen, du warst dabei, du erinnerst dich? Das beweist, daß er ein Bursche ohne Verstand
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