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Der Bauch von Paris - 3

Der Bauch von Paris - 3

Titel: Der Bauch von Paris - 3 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Émile Zola
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Kohlköpfen, den Tomatenhaufen und den Kürbisschnitten, die rote Sterne und goldne Mondsicheln in das Weiß der übrigen im fließenden Wasser gewaschenen Gemüse brachten. Cadine zeigte sich sehr viel geschickter als Marjolin, obgleich sie doch jünger war. Sie löste eine so dünne Schale von den Kartoffeln, daß man das Licht durchschimmern sah; sie schnürte die Bunde für den Suppentopf so gefällig, daß sie wie Sträußchen aussahen, und sie verstand es schließlich, aus nichts weiter als drei Möhren oder drei Kohlrüben kleine Häufchen herzurichten, die sehr groß wirkten. Lachend blieben die Vorübergehenden stehen, wenn sie mit ihrer schrillen Gassenmädchenstimme schrie: »Madame, Madame, kommen Sie her sehen … Zwei Sous mein Häufchen.«
    Sie hatte Kundschaft, ihre Häufchen waren sehr bekannt. Mutter Chantemesse, die zwischen den beiden Kindern saß, lachte in sich hinein, daß ihr der Busen bis zum Kinn hochwogte, wenn sie die beiden so ernsthaft bei der Arbeit sah. Gewissenhaft gab sie ihnen täglich ihren Sou. Aber die Häufchen langweilten die Kinder schließlich. Sie wurden älter und träumten von einträglicheren Geschäften. Marjolin blieb noch sehr lange kindlich, worüber Cadine ungehalten war. Er habe nicht mehr Grips als ein Kohlkopf, meinte sie. Und in der Tat, sie mochte für ihn noch so schöne Möglichkeiten, Geld zu verdienen, ausdenken, er verdiente keineswegs welches, er verstand nicht einmal, eine Besorgung zu erledigen. Sie war sehr gerissen. Mit acht Jahren ließ sie sich von einer der Händlerinnen anstellen, die rings um die Markthallen auf einer Bank sitzen mit einem Korb Zitronen, die eine ganze Schar Gassenmädchen unter ihrer Aufsicht verkauft. Cadine bot die Zitronen aus der Hand an, zwei für drei Sous, lief den Vorübergehenden nach, schob ihre Ware den Frauen unter die Nase und kehrte zurück, sich neue holen, wenn ihre Hand leer war. Sie erhielt zwei Sous für jedes Dutzend Zitronen, wobei sie in guten Zeiten am Tag auf fünf bis sechs Sous kam. Im folgenden Jahr hielt sie Hauben für neun Sous feil. Der Verdienst war größer; allerdings mußte sie ein flinkes Auge haben, weil solche Geschäfte auf offener Straße verboten sind. Sie witterte die Schutzleute auf hundert Schritt; die Hauben verschwanden unter ihren Röcken, während sie unschuldig an einem Apfel knabberte. Dann verlegte sie sich auf Kuchen, Plätzchen, Kirschtörtchen, Krusteln, dicken und gelben Maiszwieback auf Weidengeflecht; aber Marjolin aß ihr die Vorräte auf. Mit elf Jahren gelang es ihr endlich, einen großen Plan, der ihr schon seit langem zusetzte, zu verwirklichen. Sie sparte sich in zwei Monaten vier Francs zusammen, erstand eine kleine Kiepe und begann einen Handel mit Vogelfutter.
    Das war eine große Sache. Sie stand sehr früh auf, kaufte bei den Großhändlern ihren Vorrat an Vogelmiere, Hirsegras und Kalkkuchen; dann machte sie sich auf den Weg, ging über den Fluß und lief durch das Quartier Latin von der Rue SaintJacques bis zur Rue Dauphine und bis zum Jardin du Luxembourg. Marjolin begleitete sie. Sie wollte nicht einmal, daß er ihre Kiepe trug, und meinte, er sei nur zum Ausrufen gut. Also rief er zäh und langgezogen:
    »Futter für die kleinen Vögel!«
    Und sie wiederholte in Flötentönen auf eine eigenartige Melodie, die in einem reinen und ausgehaltenen sehr hohen Klang endete:
    »Futter für die kleinen Vögel!«
    Sie gingen jeder auf einem Bürgersteig und blickten in die Höhe. Zu jener Zeit hatte Marjolin eine große rote Weste an, die ihm bis zu den Knien herunterreichte, die Weste des seligen Vaters Chantemesse, eines ehemaligen Droschkenkutschers; Cadine trug ein blau und weiß kariertes Kleid, das aus einem abgetragenen Plaid der Mutter Chantemesse zugeschnitten war. Die Kanarienvögel aller Mansarden des Quartier Latin37 kannten sie. Wenn sie vorbeikamen und ihren Satz mehrmals ertönen ließen und sich das Echo ihres Rufes zuwarfen, fing es in den Käfigen an zu singen.
    Cadine verkaufte auch Kresse.
    »Zwei Sous das Bund! Zwei Sous das Bund!«
    Und Marjolin hatte in die Läden zu gehen und »die schöne Brunnenkresse, die Gesundheit des Leibes«, anzubieten.
    Die Zentralmarkthallen waren aber gerade gebaut worden; angesichts des Blumenganges, der die Obsthalle durchzieht, blieb die Kleine verzückt stehen. In seiner ganzen Länge blühen die Verkaufsstände wie Gartenbeete zu beiden Seiten eines Fußsteiges und entfalten riesige Sträuße; es ist eine

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