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Der Bauch von Paris - 3

Der Bauch von Paris - 3

Titel: Der Bauch von Paris - 3 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Émile Zola
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Schönes. Als sie ihn eines Tages eine solche bewundern ließ, rief er jedoch:
    »Ja, das ist nett, aber die Unterseite deines Kinns hier an dieser Stelle gefällt mir besser; sie ist noch viel zarter und durchsichtiger als deine Kamelie … Da sind blaue und rosige Äderchen, die den Adern der Blumen ähneln.« Er streichelte sie mit den Fingerspitzen; dann kam er mit der Nase näher und murmelte: »Sieh mal an, nach Orangenblüten riechst du heute.«
    Cadine hatte eine sehr schlechte Eigenart. Sie vermochte sich nicht in die Rolle einer Angestellten zu schicken. Deshalb machte sie sich schließlich selbständig. Da sie aber damals erst dreizehn Jahre alt war und von einem größeren Handel, einem Verkaufsstand im Blumengang, nicht träumen konnte, ging sie Veilchensträuße zu einem Sou verkaufen, die auf einer Moosunterlage in einem um ihren Hals hängenden Weidenkorb steckten. Den ganzen Tag streifte sie in den Markthallen und um die Markthallen herum und führte ihr Stück Rasen spazieren. Das war ihre Freude, dieses ständige Umherschlendern, daß ihr die Beine wieder gelenkig machte, das sie aus den langen, beim Sträußebinden mit angezogenen Beinen auf einem niedrigen Stuhl verbrachten Stunden herausriß. Jetzt wand sie ihre Veilchen im Gehen, drehte sie wie Spindeln mit einer erstaunlichen Fingerfertigkeit. Je nach der Jahreszeit zählte sie sechs bis acht Stielchen ab, kniffte einen Schilfhalm zur Hälfte, fügte ein Blatt hinzu und wickelte einen angefeuchteten Faden herum, und zwischen ihren Zähnen eines jungen Wolfes riß sie den Faden ab. Die Sträußchen schienen von selbst in dem Moos ihres Körbchens hochzuschießen, so schnell pflanzte sie sie hinein. Auf den Bürgersteigen brachten ihre flinken Finger mitten im Straßengewühl Blüten hervor, ohne daß sie hinsah, das Gesicht keck erhoben und mit den Läden und den Vorübergehenden beschäftigt. Dann ruhte sie sich einen Augenblick in einem Torweg aus. Sie brachte ein Stück Frühling, einen Waldsaum blau blühenden Grases an den Rand der vom Spülwasser speckigen Rinnsteine. Ihre Sträuße spiegelten ihre schlechte Laune und ihre Rührung wider; es gab deren borstige und schreckliche, die in ihren zerknitterten Papiermanschetten nicht aufhörten, zornig zu sein; es gab deren andere, friedliche und liebliche, die tief in sauberen Halskrausen lächelten. Wo sie vorüberkam, ließ sie einen süßen Duft zurück. Marjolin ging glückselig hinter ihr her. Vom Kopf bis zu den Füßen duftete sie nur noch nach einem Wohlgeruch. Wenn er sie anfaßte, von ihren Röcken bis zum Mieder ging, von ihren Händen zu ihrem Gesicht, sagte er, sie sei nichts als Veilchen, eine einziges großes Veilchen. Er vergrub seinen Kopf und wiederholte mehrmals: »Entsinnst du dich an den Tag, an dem wir nach Romainville gegangen sind? Ganz so wie dort riecht das, besonders in deinem Ärmel … Suche dir keine andere Beschäftigung mehr. Du riechst zu gut.«
    Sie suchte sich keine andere Beschäftigung mehr. Das war ihr letzter Beruf. Aber die beiden Kinder wuchsen heran, und oft vergaß sie ihr Körbchen, um dafür im Viertel herumzulaufen. Der Bau der Zentralmarkthallen war für beide ein ständiger Anlaß zu tollen Unternehmungen. Durch einen Spalt in dem Bretterzaun drangen sie mitten auf den Bauplatz, stiegen in die Fundamente hinab, kletterten auf die ersten Eisensäulen. So geschah es, daß sie in jedes Loch, in jedes Gebälk etwas von sich selber, von ihren Spielen, von ihren Balgereien brachten. Unter ihren kleinen Händen erhoben sich die Hallen. Von daher rührte die Liebe, die sie den großen Markthallen entgegenbrachten, und die Liebe, die ihnen die großen Markthallen zurückgaben. Sie waren mit diesem riesigen Schiff vertraut wie alte Freunde, die die kleinsten Bolzen hatten anbringen sehen. Sie hatten keine Furcht vor diesem Ungeheuer, patschten mit ihren kleinen Fäusten auf seiner Riesenhaftigkeit herum, behandelten es als einen guten Kerl, als einen Kameraden, vor dem man sich keinen Zwang antut. Und die Markthallen schienen über diese beiden Schlingel zu lächeln, die der freie Sang, das freche Idyll ihres riesigen Bauches waren.
    Nun schliefen Cadine und Marjolin nicht mehr zusammen bei Mutter Chantemesse in dem Wagen eines fliegenden Händlers. Die Alte, die sie immer nachts schwatzen hörte, richtete für den Jungen ein besonderes Bett vor dem Schrank auf dem Fußboden her, aber am nächsten Morgen fand sie ihn wieder am Halse des Mädchens unter

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