Der Bauch von Paris - 3
derselben Decke. Da ließ sie ihn bei einer Nachbarin schlafen. Die Kinder waren sehr unglücklich darüber. Am Tage, wenn Mutter Chantemesse nicht da war, streckten sie sich vollständig angezogen einer im Arm des anderen auf dem Fliesenfußboden aus wie in einem Bett; und das machte ihnen viel Spaß. Später trieben sie unanständige Spiele. Sie suchten die dunklen Winkel der Kammer auf und versteckten sich häufiger hinten in den Speichern der Rue au Lard hinter Äpfelhaufen und den Orangenkisten. Sie waren frei und ohne Scham wie die Spatzen, die sich auf dem Rand eines Daches paaren.
Im Keller der Geflügelhalle fanden sie eine Möglichkeit, noch zusammen zu schlafen. Es war dies eine süße Gewohnheit, ein Gefühl angenehmer Wärme, ein Zwang, einer an den andern geschmiegt einzuschlafen, den sie nicht verlieren wollten. Bei den Schlachttischen standen dort große Körbe mit Federn, in die sie bequem hineinpaßten. Sobald die Nacht hereingebrochen war, stiegen sie hinunter und blieben da den ganzen Abend, um sich zu wärmen, glücklich über die Weichheit dieses Lagers, bis über die Augen in den Daunen. Gewöhnlich schleppten sie ihren Korb vom Gaslicht weg; sie waren allein in den starken Geflügelgerüchen und wurden wach gehalten durch plötzliche, aus dem Dunkeln kommende Hahnenschreie. Und sie lachten, küßten sich in lebhafter Freundschaft, ohne zu wissen, wie sie es einander bezeigen sollten. Marjolin war sehr dumm. Cadine schlug ihn, von Wut gegen ihn erfaßt, und wußte nicht warum. Mit ihrer Straßenmädchenverwegenheit riß sie ihn aus der Erstarrung. Allmählich sammelten sie Erfahrungen in ihren Federkörben. Es war ein Spiel. Die Hühner und die Hähne, die neben ihnen schliefen, hatten keine schönere Unschuld.
Später erfüllten sie die großen Markthallen mit ihrer Liebe unbekümmerter Spatzen. Sie lebten wie junge glückliche Tiere, dem Trieb hingegeben, und befriedigten ihre Begierden inmitten dieser Anhäufungen von Nahrungsmitteln, in denen sie wie ganz aus Fleisch bestehende Pflanzen aufgeschossen waren. Cadine war mit ihren sechzehn Jahren ein verwildertes Mädchen, eine schwarze Pflasterzigeunerin, sehr naschhaft und sehr sinnlich. Mit achtzehn Jahren hatte Marjolin die jünglingshafte, bereits bauchige Stämmigkeit eines kräftigen Mannes, keinerlei Verstand und lebte wie ein Tier durch die Sinne. Oft schlief sie gar nicht zu Hause, um die Nacht mit ihm im Geflügelkeller zu verbringen; am nächsten Morgen lachte sie Mutter Chantemesse frech ins Gesicht und rettete sich vor dem Besen, mit dem die Alte blindlings drauflosschlug, ohne die Nichtsnutzige zu treffen, die sich mit seltener Unverschämtheit über sie lustig machte und sagte, sie sei aufgeblieben, um zu sehen, »ob dem Mond Hörner wachsen«. Er trieb sich herum; in Nächten, in denen ihn Cadine allein ließ, blieb er bei den diensthabenden Wächtern in den Hallen. Er schlief auf Säcken, auf Kisten, hinten im ersten besten Winkel. Sie brachten es beide dahin, die Hallen überhaupt nicht mehr zu verlassen. Sie waren ihr Vogelhaus, ihr Stall, die riesige Krippe, wo sie auf einem unermeßlichen Bett von Fleisch, Butter und Gemüse schliefen, sich liebten und lebten.
Sie hegten jedoch stets eine besondere Vorliebe für die großen Körbe mit Federn. Dorthin kehrten sie in den Liebesnächten zurück. Die Federn waren nicht ausgelesen. Da waren lange schwarze Putenfedern und weiße glatte Gänsefedern, die sie in den Ohren kitzelten, wenn sie sich umdrehten; dann gab es Entendaunen, in die sie wie in Watte einsanken, leichte goldige und bunte Hühnerfedern, von denen sie bei jedem Atemzug einen Schwarm aufsteigen ließen gleich einem surrenden Fliegenschwarm in der Sonne. Im Winter schliefen sie auch im Purpur der Fasanen, in der grauen Asche der Lerchen, in der gesprenkelten Seide der Rebhühner, Wachteln und Krammetsvögel. Die Federn waren noch lebendig und warm von Dunst. Sie brachten Flügelzucken und Nestwärme zwischen ihre Lippen. Sie erschienen wie ein breiter Vogelrücken, auf dem sie sich ausstreckten und der sie davontrug, einer im Arm des andern vor Wonne vergehend. Am Morgen suchte Marjolin Cadine, die tief im Korb verschwunden war, als hätte es auf sie geschneit. Zerzaust stand sie auf, schüttelte sich und entstieg mit ihrem Haarschopf, in dem immer eine Hahnenfeder steckenblieb, einer Wolke.
Sie machten noch einen anderen Wonneort ausfindig in der Halle für den Butter, Eier und Käsegroßhandel. Dort
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