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Der Bauch von Paris - 3

Der Bauch von Paris - 3

Titel: Der Bauch von Paris - 3 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Émile Zola
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türmten sich an jedem Morgen mächtige Mauern von leeren Körben. Sie schlichen sich beide ein, durchbohrten diese Mauer und höhlten sich ein Versteck aus. Wenn sie dann eine Kammer in dem Haufen hergestellt hatten, schoben sie einen Korb davor und schlossen sich ein. Nun waren sie daheim, sie besaßen ein Haus. Sie umarmten sich ungestraft. Was sie veranlaßte, sich über die Leute lustig zu machen, war, daß einzig dünne Wände aus Weidengeflecht sie von der Menschenmenge der Hallen trennten, deren laute Stimme sie rings um sich hörten. Oft prusteten sie vor Lachen, wenn Leute zwei Schritte von ihnen stehenblieben, ohne sie hier zu vermuten; sie bohrten sich Gucklöcher und wagten einen Blick hinaus. Zur Kirschenzeit schnellte Cadine allen vorbeikommenden alten Weibern die Kerne auf die Nase, was sie um so mehr belustigte, als die erschreckten Alten niemals errieten, von wo dieser Hagel von Kernen herkam.
    Sie streiften auch in der Tiefe der Keller herum, kannten deren finstere Löcher und verstanden, durch die am besten verschlossenen Gitter hindurchzukommen. Einer ihrer großen Ausflüge bestand darin, zur unterirdischen Eisenbahnstrecke einzudringen, die im Kellergeschoß gelegt war und die projektierte Linien mit den verschiedenen Bahnhöfen verbinden sollte. Bruchstücke dieser Strecke laufen unter den überdachten Straßen entlang und trennen die Keller der einzelnen Hallen; an allen Kreuzungspunkten sind sogar betriebsfertige Drehscheiben angebracht. Cadine und Marjolin hatten schließlich in dem Bohlenverschlag, der die Strecke absperrt, ein weniger festes Stück Holz entdeckt, das sie so schön beweglich gemacht hatten, daß sie ganz bequem hineinkamen. Dort waren sie von der ganzen Welt abgeschieden und hatten über sich das unaufhörliche Getrappel von Paris auf dem Pflaster, Der Schienenstrang dehnte seine weiten Anlagen, seine einsamen Stollen, die unter den eisenvergitterten Luken vom Tageslicht gefleckt waren; in den Enden, wo es ganz dunkel war, brannten Gaslampen. Sie spazierten da herum wie tief in einem ihnen gehörenden Schloß, waren sicher, daß niemand sie störte, und beglückt von, dieser summenden Stille, diesem trüben Schein, dieser Kellergeschoßverschwiegenheit, in der ihr Lieben alles verlachender Kinder wie in einem Melodrama erschauerte. Durch die Bohlen drangen aus den Nachbarkellern alle möglichen Gerüche zu ihnen: die Schalheit der Gemüse, die Herbheit der Seefische, die verpestete Strenge der Käse, die lebendige Wärme des Geflügels. Zwischen ihren Küssen atmeten sie in dem Schattenalkoven, wo sie, quer über den Schienen liegend, die Zeit vergaßen, unausgesetzten nährenden Odem. Andere Male dann kletterten sie in schönen Nächten und in hellen Morgendämmerungen auf die Dächer, stiegen die steile Treppe zu den Türmchen empor, die an den Ecken der Hallen angebracht waren. Oben breiteten sich Felder von Zink, Promenaden, Plätze, die ganze unebene Landschaft, die ihnen Untertan war. Sie machten die Runde über die viereckigen Dächer der Hallen, folgten dem hingestreckten Dachwerk der überdachten Straßen, erklommen die Hänge und gingen sie hinab und verloren sich in endlosen Wanderungen. Wenn sie des niederen Landes müde waren, gingen sie noch höher hinauf, wagten sich auf die eisernen Leitern, wo Cadines Röcke wie Fahnen flatterten. Dann liefen sie auf dem zweiten Geschoß der Dächer mitten im Himmel. Nur noch die Sterne waren über ihnen. Getöse erhob sich aus der Tiefe der dröhnenden Markthallen, rollender Lärm, ein fernes Gewitter, das man in der Nacht hört. In dieser Höhe fegte der Morgenwind die verdorbenen Gerüche, den schlechten Atem des erwachenden Marktes, hinweg. Im aufgehenden Tag schnäbelten sie sich am Rande der Dachrinnen, wie es die Vögel tun, die sich unter den Ziegeln tummeln. Sie waren ganz rosig in der ersten Röte der Sonne. Cadine lachte, daß sie in der Luft war, und ihre Kehle schillerte gleich der einer Taube. Marjolin beugte sich vor, um die noch von Finsternis erfüllten Straßen zu sehen, und umklammerte mit den Händen das Zinkblech wie mit den Krallen einer Ringeltaube. Wenn sie wieder hinunterstiegen in der Freude über die weite Luft und wie Verliebte lächelten, die zerzaust aus einem Kornfeld kommen, sagten sie, sie kehrten vom Lande zurück.
    Auf dem Kaldaunenmarkt machten sie mit Claude Lantier Bekanntschaft. Dorthin gingen sie jeden Tag mit der Vorliebe für Blut, mit der Grausamkeit von Straßenkindern, denen es

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