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Der Bauch von Paris - 3

Der Bauch von Paris - 3

Titel: Der Bauch von Paris - 3 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Émile Zola
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Groll davon zurück und fuhr aus einer Art hoffnungsloser Liebe zu seinem nicht zustande gekommenen Gemälde heraus fort, mit seinen beiden Modellen zu leben. Wenn er ihnen nachmittags beim Herumstrolchen begegnete, bummelte er durch das Markthallenviertel und schlenderte, die Hände tief in den Taschen, dahin, regen Anteil am Leben der Straße nehmend.
    Zu dritt gingen sie davon, schleppten ihre Absätze über die Bürgersteige, die sie in ihrer ganzen Breite einnahmen, und zwangen die Leute herunterzugehen. Die Nasen in der Luft, schlürften sie die Gerüche von Paris. Bei geschlossenen Augen hätten sie jeden Winkel wiedererkannt, an nichts anderem als am süßwürzigen Atem, der aus den Weinschenken kam, am heißen Hauch der Bäckereien und Konditoreien, an den faden Auslagen der Obsthändler. Das waren weite Rundreisen. Mit Vorliebe durchquerten sie den Rundbau der Getreidehalle, einen riesigen und schweren Steinkäfig inmitten von Stapeln weißer Mehlsäcke, und lauschten dem Geräusch ihrer Schritte in der Stille des widerhallenden Gewölbes. Sie liebten die benachbarten Straßenenden, die menschenleer, schwarz und traurig geworden waren wie ein verlassener Stadtwinkel; die Rue Babille, die Rue Sauval, die Rue des DeuxEcus, die Rue de Viarmes, die durch die Nachbarschaft der Mühlen bleich ist und wo um vier Uhr die Getreidebörse wimmelt. Gewöhnlich brachen sie von dort auf. Sie gingen langsam die Rue Vauvilliers entlang, blieben auf dem Eingangspflaster verdächtiger Kneipen stehen und wiesen lachend und mit einem Augenzwinkern auf die große gelbe Nummer eines Hauses mit heruntergelassenen Jalousien. In der Verengung der Rue des Prouvaires blinzelte Claude mit den Augen und betrachtete gegenüber, am Ende der überdachten Straße, ein von diesem ungeheuren Schiff eines modernen Bahnhofs eingerahmtes Seitenportal von SaintEustache mit seiner Rosette und seinen zwei Reihen Rundbogenfenstern; in seiner herausfordernden Art meinte er, daß das ganze Mittelalter und die ganze Renaissance unter den Zentralmarkthallen Platz finden. Als sie die neuen breiten Straßen, die Rue du PontNeuf und die Rue des Halles hinuntergingen, erklärte er dann den beiden Straßenkindern das neue Leben, die prächtigen Bürgersteige, die hohen Häuser und den Luxus der Geschäfte; er verkündete eine ursprüngliche Kunst, die er kommen fühle, wie er sagte, und daß er sich die Fäuste zernage, weil er sie nicht zu offenbaren vermöge. Cadine und Marjolin zogen allerdings den Kleinstadtfrieden der Rue des Bourdonnais vor, wo man noch Murmel spielen konnte, ohne zu fürchten, überfahren zu werden; wenn sie an den Strumpf und Handschuhgroßhandlungen vorbeikamen, zierte sich die Kleine, während ihr über jeder Tür Handlungsgehilfen mit bloßem Kopf, die Feder hinter dem Ohr, mit gelangweilt wirkendem Blick nachsahen. Auch die stehengebliebenen Bruchstücke des alten Paris zogen sie vor, die Rue de la Poterie und die Rue de la Lingerie mit ihren bauchigen Häusern, ihren Butter, Eier und Käseläden, die Rue de la Ferronerie und die Rue de l’Aiguillerie, die schönen Straßen von einst mit den engen düsteren Läden; besonders die Rue Courtalon, ein schwarzes schmutziges Gäßchen, das vom Place SainteOpportune zur Rue SaintDenis führt und von stinkenden Gängen durchlöchert ist, in deren Tiefe sie ihre unanständigen Spiele getrieben hatten, als sie noch jünger waren. In der Rue SaintDenis betraten sie die Welt der Leckereien; sie lächelten den gedörrten Äpfeln, den Lakritzenstangen, den Backpflaumen, dem Kandiszucker bei den Kolonialwaren und Drogenhändlern zu. Ihr Herumschlendern lief jedesmal auf die Vorstellungen von guten Dingen hinaus, auf die Lust, die Auslagen mit den Augen zu verschlingen. Das Viertel war für sie eine einzige große, stets gedeckte Tafel, ein ewiger Nachtisch, nach dem sie gern ihre Finger ausgestreckt hätten. Sie besuchten kaum einen Augenblick den anderen Block baufälliger Gemäuer, die Rue Pirouette, die Rue Mondetour, die Rue de la PetiteTruanderie und die Rue de la GrandeTruanderie, weil sie sich nur mittelmäßig von den Lagern von Weinbergschnecken, den Händlern von gekochtem Gemüse, von den Spelunken der Kuttler und Schnapsverkäufer angezogen fühlten. Allerdings gab es in der Rue de la GrandeTruanderie eine Seifenfabrik, die sehr angenehm wirkte inmitten des Gestanks der Umgegend und bei der Marjolin stehenblieb und darauf wartete, daß jemand hineinging oder herauskam, damit ihm

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