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Der Baum des Lebens

Der Baum des Lebens

Titel: Der Baum des Lebens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christian Jacq
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einen großen Innenhof mit einem Säulengang auf der Südseite, in dem der Hausherr gern an der frischen Luft verweilte. Sie gingen an dem Flügel des Hauses mit den Schlaf- und Badezimmern vorbei, und der Verwalter führte die Besucher zu einem Sprechzimmer mit zwei Säulen.
    Gesenkten Hauptes ließ der Tempelwächter aus dem Tal von Sesostris II. einen schweren Tadel über sich ergehen. Der Verwalter wollte verlegen kehrtmachen.
    »Komm her«, befahl ihm sein Herr, ein kleiner Mann mit niedriger Stirn und dichten Augenbrauen.
    »Hier ist der Gefangene, den…«
    »Ja, ja, ich weiß«, schnitt ihm der Stadtvorsteher das Wort ab. »Geht jetzt und lasst mich mit ihm allein.«
    »Er könnte gefährlich sein«, wandte der Offizier ein, »und…«
    »Schweig und tu, was ich dir sage.«
    Und Iker war allein mit dem hohen Würdenträger, dessen finsterer Blick nichts Gutes verhieß.
    »Du heißt also Iker?«
    »Ja, das ist mein Name.«
    »Wo bist du geboren?«
    »In Medamud.«
    »Und woher kommst du jetzt?«
    »Aus der Stadt Thots.«
    »Erkennst du das hier wieder?«
    Der Stadtvorsteher zeigte dem jungen Mann sein Schreibwerkzeug, das er auf einen niedrigen Tisch gelegt hatte.
    »Diese Sachen gehören mir.«
    »Wo hast du sie gekauft?«
    »General Sepi hat sie mir gegeben. Ich hatte das Glück, bei ihm lernen zu dürfen und als Schreiber angestellt zu werden. Meine erste Arbeitsstelle habe ich vom Provinzherrn selbst bekommen.«
    Der Stadtvorsteher las noch einmal den Papyrus, den ihm die Soldaten gebracht hatten und den er geöffnet hatte.
    »Die Überwachung meiner Stadt ist ordentlich, aber Klugheit gehört nicht unbedingt zu den besonderen Vorzügen meiner Wachleute. Die Männer haben nicht verstanden, wer du bist. Ein so junger Schreiber, der von einem Provinzherrn, der eher sparsam ist mit anerkennenden Worten, in den höchsten Tönen gelobt wird, verdient Beachtung. Also, warum willst du in Kahun arbeiten?«
    »Weil ich zu den besten Schreibern gehören will.«
    Der Stadtvorsteher schaute nicht mehr ganz so angriffslustig.
    »Etwas Besseres hättest du dir nicht aussuchen können, mein Junge! Diese Stadt wurde von Geometern und Ritualisten gebaut, die in die Mysterien eingeweiht waren. Sie haben auch eine Pyramide gebaut. Später wurde dieser Ort zu einem der bedeutendsten Verwaltungszentren. Ich muss Ländereien, Steinbrüche, Getreidespeicher und Werkstätten verwalten, Volkszählungen durchführen, die Verlagerung von Arbeitskräften nach Fayyum überwachen, die täglichen Einnahmen und Ausgaben im Auge behalten, überprüfen, ob die Priester und Handwerker, die Schreiber, Gärtner und Soldaten ihre Arbeit vorschriftsmäßig ausführen… Diese Arbeit füllt mich voll und ganz aus, und mir bleibt keine Zeit mehr für meine eigentliche Leidenschaft: das Schreiben. Alles ist schon gesagt, musst du wissen, und keiner, nicht einmal ich, kann noch etwas Neues erfinden. Ach, was gäbe ich dafür, könnte ich überraschende Worte aussprechen, noch unverbrauchte Formulierungen finden! Jedes Jahr ist bedrückender als das vorhergehende, die Gerichte sind nicht gerecht genug, und die Taten der Gottheiten bleiben voller Geheimnisse. Selbst die Obrigkeit wird nicht ausreichend geachtet. Wenn du mich fragst, geht alles schief. Wer bemerkt das überhaupt, wer ergreift die erforderlichen Maßnahmen, wer wagt es, das Böse zu verfolgen, wer hilft den Armen wirklich, wer kämpft gegen Heuchelei und Lügen?«
    »Ist das nicht eigentlich Aufgabe des Pharaos?«, fragte Iker vorsichtig.
    Auf einmal wirkte der Stadtvorsteher nicht mehr so begeistert.
    »Ja, schon… Aber denk daran, dass die Schrift das Wesentliche ist. Schriftsteller bauen keine Tempel und keine Grabstätten, sie haben keine anderen Erben als ihre Schriften, die sie überleben und jahrhundertelang für ihren Ruhm sorgen. Pinsel und Palette sind deine Kinder. Dein Buch ist deine Pyramide. Aber ich – ich muss meine Fähigkeiten mit endlosen Verwaltungsaufgaben vergeuden.«
    »Beabsichtigt Ihr, mir eine Stellung anzuvertrauen?«
    »Ich sage es dir gleich – du würdest mit überaus fähigen Schreibern zusammenarbeiten. Sie dulden keinen Fehler und würden mich auffordern, dich wieder zu entlassen, sollten deine Kenntnisse nicht ausreichen. Ich nehme einmal an, dass Djehuti kein allzu schmeichelhaftes Bild von dir gezeichnet hat. Also gut… Ich brauche jemand für die Verwaltung der Kornspeicher.«
    Es gelang Iker, seine Enttäuschung zu verbergen. Das war natürlich

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