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Der Baum des Lebens

Der Baum des Lebens

Titel: Der Baum des Lebens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christian Jacq
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mit weißem Bart, dessen Hass auf die Ägypter grenzenlos war. Er koordinierte die Überfälle auf schlecht bewachte Karawanen und ließ die Kanaaniter hinrichten, die angeblich gemeinsame Sache mit dem Feind machten.
    Kaum hatte der Prophet den kargen Raum betreten, in dem der alte Mann wohnte, als der Bärtige auch schon in Begeisterung verfiel.
    »Da bist du ja endlich! Ich warte schon so lange auf dich… Ich kann ihnen ja nur kleine Stiche versetzen. Aber du wirst sie vernichten! Es ist höchste Zeit, dass den Gesetzen Maats und der Herrschaft ihres Sohnes, des Pharaos, ein Ende gemacht wird.«
    »Was rätst du mir?«
    »Ein Angriffskrieg ist aussichtslos. Suche dir einige von unseren Getreuen, die für unsere Sache ihr Leben geben würden, und lass sie Angst und Schrecken auf ägyptischem Grund und Boden verbreiten. Gezielte Überfälle müssen so viele Opfer wie möglich bringen und für Panik unter der Bevölkerung sorgen. Man wird Sesostris dafür verantwortlich machen, und dann gerät sein Thron ins Wackeln.«
    »Ich bin der Prophet und erwarte von den Kämpfern, die du mir zur Verfügung stellst, unbedingten Gehorsam.«
    »Darauf kannst du zählen! Aber du wirst noch viel mehr Kämpfer brauchen. Zeig mir einmal deine Hände!«
    Der Prophet trat zu ihm.
    »Seltsam… Sie sehen aus wie die Fänge eines Falken! Du bist genauso, wie ich mir dich immer erträumt habe, wild, erbarmungslos und unbesiegbar!«
    »Wenn du könntest, wo würdest du den Kampf beginnen?«
    »Natürlich in Sichern (dem heutigen Nablus), da muss ich nicht eine Sekunde überlegen. Dort gibt es nur eine kleine ägyptische Festung. Die Bevölkerung dürfte leicht zu gewinnen sein, und der Sieg wird Aufsehen erregen.«
    »Dann fangen wir also in Sichern an.«
    »Rufe meine Diener und befehle ihnen, mich auf die Schwelle meines Hauses zu tragen. Alle Kämpfer des bewaffneten Widerstands sollen sich davor versammeln.«
    Und dann predigte der Blinde mit einer Energie, die für einen Mann seines Alters erstaunlich war, den totalen Krieg gegen Ägypten. Den Propheten stellte er als seinen Nachfolger vor, der als Einziger dazu fähig sei, seine Männer zum Sieg zu führen.
    Dann starb er in einem letzten Anfall von Hass.

 
26
     
     
     
    Das Städtchen Sichern döste in der Hitze vor sich hin, und die ägyptische Festung widmete sich träge ihren Alltagsbeschäftigungen, zu denen die militärische Ertüchtigung nur ganz am Rande gehörte. Ihr Kommandant saß bereits seit mehr als zehn Jahren in dieser verlassenen Gegend fest und hatte es inzwischen aufgegeben, gegen die ständigen Schiebereien der Bevölkerung vorzugehen. Die Oberhäupter der großen Familien mit ihrer schier unendlich großen Kinderschar verständigten sich untereinander. Man bestahl sich gegenseitig, gelegentlich brachte man einen um, seine Rechnungen beglich man, indem man einander in den Rücken fiel – aber alles, ohne die öffentliche Ordnung zu stören. Was das betraf, ließ der Kommandant nicht mit sich handeln: Wenn er sich schon damit hatte abfinden müssen, dass er nichts erfuhr, wollte er auch nichts sehen.
    Auch beim Thema Steuereinnahmen hatte er längst aufgegeben. Die Kanaaniter logen dermaßen, dass er nicht mehr unterscheiden konnte, was wahr war und was nicht. Außerdem hatte er nicht genug Kontrolleure. Deshalb beschränkte er sich darauf, eine geringe Mindeststeuer auf die Ernteerträge zu erheben, die ihm die Bauern freiwillig zeigten. Und jedes Mal spielte sich das gleiche Theater ab: Seine Untergebenen beklagten sich über die Hitze und die Kälte, das Ungeziefer, den Wind und die Trockenheit, die Unwetter und hundert andere Plagen mehr, die sie zum Elend verurteilten. Er hörte ihnen schon gar nicht mehr zu, ihr Gejammer war so langweilig, dass es auf ihn wie ein Schlafmittel wirkte.
    Jeden Tag betete er zum Gott Min, für den man nördlich der Kaserne eine Kapelle errichtet hatte, er möge ihn so schnell wie möglich nach Ägypten zurückkehren lassen. Er träumte davon, sein Heimatdorf im Nildelta wiederzusehen, in dem Palmenhain am Fluss Mittagsruhe zu halten, in dem man während der heißen Jahreszeit auch badete, und sich um seine alte Mutter zu kümmern, die er schon lange nicht mehr gesehen hatte.
    Hartnäckig schrieb er immer wieder nach Memphis und erinnerte an sein Versetzungsgesuch, aber seine Vorgesetzten schienen ihn vergessen zu haben. Nachdem Geduld nicht gerade seine Stärke war, hatte er sich mit der Lage abgefunden und führte ein

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