Der Baum des Lebens
friedliches Dasein, in dem Starkbier, mitunter von minderer Güte, die Hauptrolle spielte.
»Die Karawane aus dem Norden ist eingetroffen«, teilte ihm sein Stellvertreter mit.
»Gab es irgendwelche Zwischenfälle?«
»Ich habe noch nicht mit der Untersuchung begonnen.«
»Vergiss es.«
»Aber die Vorschriften besagen…«
»Die Kanaaniter erledigen die Arbeit für uns. Sie verstehen sich gut mit den syrischen Karawanenführern.«
»Aber dann fälschen sie die Lieferscheine, geben falsche Mengen an und…«
»Wie immer eben«, unterbrach ihn der Kommandant. »Kann es sein, dass du dich in eine Einheimische verliebt hast?«
»Ja, stimmt, wir treffen uns regelmäßig.«
»Und, ist sie hübsch?«
»Reizend und sehr begabt.«
»Heirate sie ja nicht. Die Mädchen von hier gehorchen ihrem Clan, nicht ihrem Mann, den sie am Schluss alle fertig machen.«
»Übrigens, einer unserer Wachposten hat mir angedeutet, dass sich im Süden der Stadt ein Aufstand zusammenbrauen soll.«
Der Kommandant fuhr mit einem Ruck hoch. »Soll das ein Scherz sein?«
»Ich bin der Sache noch nicht nachgegangen.«
»Dann machst du das augenblicklich! Vertrag ist Vertrag. Wenn die Kanaaniter das vergessen haben sollten, werde ich sie daran erinnern.«
Zwei Stunden später war sein Stellvertreter noch immer nicht wieder zurückgekommen.
Der Kommandant hatte inzwischen ein ungutes Gefühl und befahl seinen Männern, zu den Waffen zu greifen und ihm zu folgen. Es konnte schließlich nicht schaden, wenn sie ab und zu ihre Stärke demonstrierten. Und wenn die Einheimischen seinem Untergebenen auch nur den kleinsten Schaden zugefügt haben sollten, würden sie schon sehen, wer in Sichern das Sagen hatte.
Am Südtor zur Stadt hatten sich über dreihundert Mann zu einer dicht gedrängten Menge versammelt. Überrascht stellte der ägyptische Offizier fest, dass sie ihm nahezu alle unbekannt waren.
Mit seinen wenigen Leuten konnte er diesem Haufen unmöglich gegenübertreten, umso mehr, als seine Soldaten, die auf einen derartigen Kampf nur schlecht vorbereitet waren, bereits vor Angst mit den Zähnen klapperten.
»Ich glaube, wir sollten uns besser zurückziehen, Herr«, sagte nun auch schon einer von ihnen.
»Wir verkörpern in Sichern Recht und Ordnung, und das werden diese Fremden nicht in Gefahr bringen.«
Eine junge Frau trat zu ihm. »Möchtest du vielleicht wissen, wo dein Stellvertreter ist, Kommandant?«
»Wer bist du denn?«
»Ich bin die Frau, die er entehrt und beschmutzt hat. Er dachte, ich dürfte darüber niemals reden; aber weder er noch du hatten vorausgesehen, dass der Prophet kommen würde! Mit seiner Hilfe werden die Kanaaniter Ägypten vernichten.«
»Gib sofort meinen Stellvertreter zurück!«, verlangte der Offizier.
Die junge Frau grinste böse. »Wie du willst, Kommandant!«
Und Schiefmaul warf dem ägyptischen Offizier drei Säcke vor die Füße.
Der Kommandant öffnete sie mit zitternden Händen. Im ersten Sack waren der Kopf seines Stellvertreters, im zweiten seine Hände und im dritten sein Geschlecht.
Nun erschien ein sehr großer Mann mit sorgfältig geschnittenem Bart und merkwürdig roten Augen. »Legt eure Waffen nieder und befiehl deinen Leuten, ab sofort mir zu gehorchen«, empfahl er ihm mit sanfter Stimme.
»Was bildest du dir eigentlich ein?«
»Ich bin der Prophet, und du musst dich mir unterwerfen – du und alle anderen Bewohner von Sichern.«
»Du bist es, der sich mir als dem Vertreter des Reiches unterwerfen muss! Solltest du dieses Verbrechen angezettelt haben, wirst du zum Tode verurteilt, genau wie die, die es ausgeführt haben.«
»Du bist reichlich unvernünftig, Kommandant. Wenn ich zum Angriff blase, wird dein Häufchen Angsthasen nicht lange Widerstand leisten.«
»Folge mir unverzüglich. Andernfalls…«
»Du bekommst noch eine allerletzte Chance von mir, Ägypter. Entweder gehorchst du, oder du stirbst.«
»Ergreift diesen Aufrührer!«, befahl der Kommandant seinen Leuten.
Da fielen die Anhänger des Propheten auch schon über sie her.
Schiefmaul durchbohrte dem Offizier die Brust, ehe Shab der Krumme sein Werk vollenden konnte und ihm in einem Anfall von Hysterie das Gesicht zertrampelte. Keiner der Soldaten lief schnell genug, um seinen Verfolgern zu entkommen.
Die Bevölkerung von Sichern empfing ihren neuen Herrn mit offenen Armen und ließ sich von ihm zu der Religion bekehren, die er als Einziger verkündete. Da es zu seinem Plan gehörte, den Pharao zu
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