Der Baum des Lebens
nach.
Iker nutzte die Gelegenheit. »Das waren zwei Seeleute, Schildkröten-Auge und Messerklinge. Ihr Schiff hieß Gefährte des Windes.«
Sie schwieg lange, dann sagte sie: »Kannst du mir diesen Mann namens Schildkröten-Auge beschreiben?«
Iker beschrieb ihn ihr.
»Er kommt mir bekannt vor, aber ich kann mich nicht genau erinnern. Dazu müsste ich verschiedene Nachforschungen anstellen, die sicher sehr langwierig wären.«
Endlich ein Hoffnungsschimmer!, dachte Iker. Aber gleich wurde er wieder misstrauisch. »Warum wollt Ihr mir denn helfen?«, fragte er.
»Weil du mir gefällst. Nein, nein, versteh mich nicht falsch! Ich mag nur Männer in meinem Alter, und auch nur dann, wenn sie mich nicht bei der Arbeit stören, indem sie behaupten, sie wären fähiger als ich. Du bist ganz anders als alle anderen, Iker. Irgendein unbekanntes Feuer treibt dich an, das so mächtig ist, dass alle deine Neider nichts anderes im Sinn haben, als es dir zu rauben. Wahrscheinlich ist das die Ursache deiner Schwierigkeiten.«
Iker blieb auf der Hut und vertraute sich ihr nicht weiter an.
»Ich kümmere mich um deine Versetzung«, sagte Techat. »Morgen kannst du beim Hüter der Provinzarchive anfangen. Jede Menge Schriften warten darauf, geordnet zu werden. Vielleicht findest du ja dort dein Glück.«
29
Medes’ gesamter Hausstand befand sich in heller Aufregung. Düsteren Gerüchten zufolge sollte der ehemalige Schatzmeister aller Ämter enthoben, in eine Kleinstadt im Süden versetzt und zur Bedeutungslosigkeit verdammt werden. Das schöne Haus in Memphis würde verkauft, die Hausangestellten in alle Winde zerstreut werden.
Die Gattin von Medes litt deshalb an einer hysterischen Krise und hatte bereits den ganzen Vormittag die Dienste ihrer Friseurin und Kosmetikerin in Anspruch genommen.
»Hast du jetzt endlich den Tiegel mit der Fünf-Fettcreme wiedergefunden?«, wollte sie wissen.
»Nein, noch nicht«, antwortete die Friseurin.
»Deine Schlamperei ist wirklich unerträglich!«
»Könnte es nicht vielleicht doch sein, dass Ihr ihn in Eurem Elfenbeinkästchen habt?«
Empört sah die Hausherrin nach und musste feststellen, dass ihre Dienerin Recht hatte. Sie hielt es jedoch nicht für nötig, sich zu entschuldigen, sondern ließ sich nun von ihr die Haare mit dieser Wunder wirkenden Pomade eincremen, die aus dem Fett von Löwen, Krokodilen, Schlangen, Steinböcken und Nilpferden bestand.
»Lass sie gründlich in die Kopfhaut einziehen«, befahl sie. »Danach massierst du sie mir mit Rizinusöl. Dann kriege ich nie graue Haare.«
Nach einer Entmachtung von Medes könnte sich seine Frau die kostspieligen Schönheitsmittel nicht mehr leisten, die sie unbedingt benötigte. Sollte sie sich von ihm trennen? Unmöglich, das Vermögen gehörte ihm. Wenn sie ihn wegen Ehebruchs anklagen konnte, stand ihr allerdings die Hälfte davon zu. Dafür bräuchte sie aber wiederum handfeste Beweise, andernfalls bekäme sie keine laufende Unterstützung zugesprochen.
»Du hast mich nicht richtig geschminkt!«, raunzte sie die Frau an. »Auf meinen Wangen und meinem Hals sieht man noch lauter rote Flecken.«
Die Kosmetikerin legte ihr einen Puder auf der Basis von Bockshorn-Schoten und -Samen, Honig und Alabaster auf, einer Mischung, die dazu gemacht war, Altersflecken verschwinden zu lassen.
Als Medes im Zimmer seiner Gattin erschien, wich sie erschrocken zurück.
»Wie fühlst du dich, meine Liebe?«
Sie sprang auf und schickte ihre Dienerinnen weg. »Du hier… Wir… Hat man uns raus geworfen?«
»Rausgeworfen? Ganz im Gegenteil! Ich bin gerade befördert worden! Der Pharao war so weise, meine Verdienste zu würdigen.«
Nun hatte Medes einige Mühe, sein Weib zu besänftigen, das ihn mit Küssen bedeckte.
»Ich habe es geahnt, ich hab’s gewusst, du bist der Beste, der Größte, der…«
»Äußerst verantwortungsvolle Aufgaben erwarten mich, meine Liebe.«
»Werden wir jetzt noch reicher?«
»Mit Sicherheit.«
»Welche Aufgabe hat dir der Herrscher übertragen?«, wollte seine Frau von ihm wissen.
»Ich wurde zum Ständigen Sekretär des Hohen Rates ernannt.«
»Oh, da erfährst du bestimmt viele Geheimnisse?«
»Gewiss, aber ich bin natürlich zum Stillschweigen verpflichtet.«
»Auch mir gegenüber?«
»Ja, auch dir gegenüber.«
Doch die Landesangelegenheiten kümmerten die Gattin des Würdenträgers wenig. Ihr war nur wichtig, dass sie mit seinem Vermögen ihre Launen befriedigen konnte.
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