Der Baum des Lebens
sein?«
»Im Moment nicht, weil ich wissen will, was er vorhat. So kann ich dann das wahre Wesen von Sesostris erkennen, und weiß, wie ich meine Vorgehensweise planen muss. Die Ägypter achten das Leben ihres Nächsten so hoch, dass sie sich wie Angsthasen benehmen. Meine Anhänger wissen aber, dass die Gottlosen getötet werden müssen, und dass der wahre Gott mit Waffengewalt kommt.«
Und dann besuchte der Prophet die ärmsten Familien von Sichern und erklärte ihnen, dass einzig und allein der Pharao schuld an ihrem Elend sei. Deshalb müssten sie ihm, dem Propheten, ihre Kinder anvertrauen, auch wenn sie noch sehr klein waren, damit er sie zu tapferen Soldaten des wahren Glaubens machen konnte.
Bei seiner letzten Prüfung, einem Kampf mit bloßen Händen, besiegte Iker dank seiner Schnelligkeit zwei Gegner, die wesentlich eindrucksvoller waren als er. Zusammen mit sechs Kameraden wurde er Soldat des Gazellengaus im Dienste von Chnum-Hotep.
»Du wirst dabei helfen, die Schiffswerft zu überwachen«, erklärte ihm sein Ausbilder. »Techat ist deine Vorgesetzte. Bilde dir aber ja nicht ein, dass sie großzügig ist, nur weil sie eine Frau ist. Unser Provinzfürst hat sie zur Schatzmeisterin und Steuerkontrolleurin ernannt, weil sie überaus zuverlässig ist. Er hat ihr sogar die Verwaltung seiner persönlichen Besitztümer anvertraut, und das gegen den ausdrücklichen Rat seiner Vertrauten! Wenn ich ehrlich sein soll, mein Junge, konntest du es gar nicht schlechter treffen. Hüte dich vor dieser Löwin, denn sie hat nichts anderes im Sinn, als Männer zu verschlingen.«
Der Lehrer brachte seinen Schüler zur Schiffswerft, wo er von einem unfreundlichen Vorarbeiter in Empfang genommen wurde.
»Das ist doch nicht etwa der Knabe, der für unsere Sicherheit sorgen soll?«, fragte er spöttisch.
»Der Schein trügt manchmal – fang lieber keinen Streit mit ihm an«, riet ihm der Ausbilder.
Der Vorarbeiter sah sich Iker daraufhin etwas genauer an.
»Wenn diese Warnung nicht vom Ausbilder unserer Truppen käme, würde ich nur darüber lachen. Dann komm also mit, mein Junge, ich zeige dir deinen Posten. Und vergiss nicht, oberste Regel: Du lässt keinen auf die Baustelle, ohne mich vorher zu fragen.«
Iker lernte nun eine für ihn neue Welt kennen, in der Handwerker die verschiedenen Teile herstellten, aus denen Schiffe gebaut wurden. Er sah zu, wie ein Mast aus Kiefernholz, ein Ruder, ein Vordersteven, der Rumpf, eine Reling oder Ruderbänke entstanden. Äußerst geschickt fertigten Facharbeiter feinste Einlegearbeiten aus kleinen Holzleisten an, während ihre Kollegen stabile Takelagen und Segeltuch zuschnitten.
Fasziniert und aufmerksam beobachtete Iker jede ihrer Bewegungen und baute aus den einzelnen Teilen in Gedanken ein Schiff.
Ziemlich rüde wurde er in die Wirklichkeit zurückgeholt, als ihn ein kräftiger Kerl zur Seite stieß, der sich Zutritt zu der Werft verschaffen wollte.
»Wer bist du?«, fragte ihn Iker und hielt ihn mit dem Arm zurück.
»Ich will zu meinem Bruder, er arbeitet hier auf der Werft.«
»Da muss ich erst den Vorarbeiter fragen«, erklärte ihm Iker.
»Für wen hältst du dich eigentlich? Ich brauche keine Erlaubnis!«
»Und ich habe meine Befehle.«
»Willst du etwa mit mir kämpfen?«
»Wenn’s sein muss.«
»Jetzt hol ich die anderen, und dann werden wir’s dir schon zeigen.«
Der Kerl hob den Arm, um die Arbeiter zur Verstärkung zu holen, ließ ihn aber sofort wieder sinken und trat einen Schritt zurück. Dabei machte er den Eindruck, er hätte gerade ein Ungeheuer gesehen.
Iker drehte sich um und entdeckte Techat, die in einem hellgrünen Kleid sehr elegant wirkte.
»Verschwinde«, befahl sie dem Störenfried, der sich auf der Stelle aus dem Staub machte.
Techat wandte sich an den jungen Milizsoldaten, der sich nicht vom Fleck gerührt hatte. »Ich weiß Leute zu schätzen, bei denen die Pflicht vor den persönlichen Wünschen beziehungsweise der eigenen Sicherheit kommt. Deine Ausbildung zum Soldaten hast du wie es scheint bestens hinter dich gebracht. Du stammst wohl aus einer Offiziersfamilie?«
»Ich bin Waise.«
»Und du wolltest Soldat werden?«
»Nein, ich möchte Schreiber werden.«
»Kannst du denn lesen, schreiben und rechnen?«
»Natürlich.«
»Wenn du willst, dass ich dir helfe, musst du mir mehr von dir erzählen.«
»Man wollte mir das Leben nehmen, und ich will wissen, warum.«
»Wer wollte dir schaden?«, hakte Techat
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