Der Baum des Lebens
heranzukommen. Ich muss diesen Pharao und seinen Hofstaat noch viel besser kennen lernen, ehe ich ihn besiegen kann. Deshalb lautet unser Plan, wenn irgend möglich einen Verbündeten zu finden, und zwar am besten einen im Palast.«
»Das ist vollkommen unmöglich!«, meinte Schiefmaul.
»Wir haben keine andere Wahl, mein Freund. Du sollst mit deinen Überfällen reich werden und mir die nötige Unterstützung bieten, wenn ich sie brauche. Und versuche niemals, mich zu hintergehen, hast du verstanden?«
Der Blick des Propheten war Furcht erregender als der eines Wüstengeistes.
Und Schiefmaul wusste, dass der Mann mit dem Turban seine Gedanken erraten würde; es war unmöglich, ihn zu betrügen.
Der Prophet legte ihm die Hand auf die Schulter, und er hatte das Gefühl, die Fänge eines Raubvogels würden sich in sein Fleisch bohren.
»Ohne mich wärst du nie etwas anderes als ein kleiner Gauner geworden, ich ermögliche es dir, ein bedeutender Mörder zu werden, der ein ganzes Land in Angst und Schrecken versetzt. Hör also endlich auf, dich wie ein mieser kleiner Straßenräuber zu benehmen, und begreife ein für alle Mal, dass die vollkommene Macht nur über zwei Grundfesten zu erreichen ist, nämlich über Gewalt und Bestechung. Du stehst für die Gewalt, Shab für die Bestechung. Dafür wirst du reich entlohnt werden, mein treuer Freund, und kannst dir dann jeden Wunsch erfüllen. Aber du musst Geduld haben, darfst nie dein wahres Gesicht zeigen, wenn du zuschlägst, und musst immer überlegt vorgehen.«
In diesem Moment hatte der Prophet Schiefmaul mit seinen Worten zum ersten Mal wirklich überzeugt. Dieser Mann war ein wahrer Kriegsführer, der planen und Vorgehensweisen entwickeln konnte. Ihm zu gehorchen, bedeutete Stärke, nicht Schwäche.
»Mir soll’s recht sein«, beschloss Schiefmaul für sich.
39
Unter den wachsamen Blicken des Obersten Schatzmeisters Senânkh wiesen Fachleute die Arbeitskräfte an, die den Auftrag hatten, vor der nächsten Nilschwemme die Kanäle zu reinigen und die Dämme auszubessern. Angesichts der gewaltigen Aufgabe waren Bauern zur Zwangsarbeit abgestellt worden und mussten die abgerutschte Erde wieder oben auf die Dämme bringen, den Boden von Wasserläufen und Auffangbecken reinigen und etwaige Risse abdichten. Die Junihitze machte das Arbeiten sehr mühsam, aber jeder wusste, wie wichtig das war. Alles musste rechtzeitig fertig sein, damit so viel Wasser wie möglich gesammelt werden konnte, mit dem die Felder und Gärten bis zum nächsten Nilhochwasser bewässert würden. Andere Arbeitstrupps sammelten trockenes Holz für den Winter, wieder andere füllten Dörrobst in Krüge, ein unersetzliches Nahrungsmittel für die erste Zeit der Überschwemmung, während der der Nil nicht schiffbar war. Manche Dörfer waren dann von der Außenwelt abgeschnitten und mussten bereits jetzt für die Lebensmittelversorgung ihrer Bewohner planen.
Offenbar verlief alles wie gewünscht. Aber Senânkh wartete noch auf eine entscheidende Nachricht aus dem Süden des Landes.
Ein Bote überbrachte sie ihm schließlich. Sobald sie der Genießer vernommen hatte, fielen ihm die Mundwinkel herunter. Obwohl er sich eigentlich gerade an den Verzehr eines üppigen Mittagessens hatte machen wollen, war ihm auf einmal der Appetit vergangen.
Schneller als gewohnt eilte er zu Sehotep, der unverzüglich eine Besprechung unterbrach, um ihn zu empfangen.
Senânkh teilte ihm die schlechte Nachricht mit.
»Sollen wir Seine Majestät davon in Kenntnis setzen oder ihm lieber die Wahrheit verschweigen?«
»Die Frage stellst du zu Recht«, meinte Sehotep. »Wenn wir den König benachrichtigen, wird er wahrscheinlich etwas unternehmen und unberechenbare Wagnisse eingehen. Aber wir sind schließlich auch Mitglieder im Hohen Rat, und es würde einen großen Fehler bedeuten, wenn wir schwiegen.«
»Der Meinung bin ich auch.«
Also baten die beiden um eine Unterredung.
Senânkh ergriff das Wort: »Mehrere Beobachtungen haben es bestätigt, Majestät: Die Zyklamen strecken ihre Wurzeln so weit wie möglich aus, um an Wasser zu kommen. Für dieses Ereignis gibt es nur eine einzige Erklärung: Die Nilschwemme wird zu schwach sein. Anders ausgedrückt, nach drei durchschnittlichen Jahren, in denen wir unsere Getreidevorräte nicht auffüllen konnten, droht uns jetzt eine Hungersnot.«
»Dies kommt nicht von ungefähr«, sagte Sesostris. »Die Akazie des Osiris in Abydos steht kurz davor
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