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Der Befehl aus dem Dunkel

Der Befehl aus dem Dunkel

Titel: Der Befehl aus dem Dunkel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Dominik
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nach Paris.
    *
    Es war die Nacht »Buddhas Erleuchtung«. Sinnend ging der Abt von Gartok in seinem Gemach hin und her. In seiner Hand knitterte ein indisches Zeitungsblatt. Die Nachricht darin, welche den Abt so nachdenklich gemacht hatte, bestand nur aus wenigen Worten. Sie lautete: »Sir Reginald Wegg ist zum Gouverneur von Singapore ernannt worden.«
    Turi Chan kannte Reginald Wegg von Eton und Oxford her sehr gut. Wenn man ihn in Downing Street für Singapore bestimmt hatte, so mochte man wohl seine besonderen Gründe dafür haben.
    Die Gedanken des Abtes wanderten zurück in seine Jugendzeit … nach England, dem Lande seiner Mutter. Alle seine Gefühle gingen zur westlichen Kultur, zu westlichen Menschen … Alle, auch sein Herz neigte einer Europäerin zu, der schönen blonden Evelyne … Auf dem Hofball, hingerissen von ihren verführerischen Reizen, offenbarte er ihr sein Herz … Und dann ihre spöttische Antwort: »Ich, die Tochter Sir Harrods und … ein gentleman of no good blood? … wohl ein Irrtum … ein unverständlicher Scherz …«
    Noch immer klang ihm im Ohr das Gelächter der Gäste … Reginald Weggs … Er hatte später Evelyne Harrod heimgeführt.
    Der Abt ging zum Fenster, riß es auf und sog die frische Luft ein. Dann griff er wieder nach dem Zeitungsblatt. Die politischen Nachrichten bestätigten, was er schon wußte. Die Lage im Osten war und blieb gespannt trotz aller offiziösen Erklärungen.
    Die Strahlen der Morgensonne mischten sich mit dem Licht, das aus des Abtes Zelle drang. Ein Dröhnen des Klopfers am Tor der Klostermauer riß ihn aus seinem Sinnen. Er trat an das Fenster.
    Von Sifan geleitet, kam ein Pilger über den Hof und wurde zum Gästehaus geführt. Der Abt öffnete das Fenster und rief Sifan zu sich.
    »Wer schickt dich? Wen brachtest du?«
    Sifan verneigte sich. »Der Abt von Tschaidam, Ehrwürdiger, gab mir den Befehl, den Pilger hierherzugeleiten.«
    Turi Chan fragte erstaunt: »Wer ist der Pilger? Woher kommt er?«
    »Aus Peking kommt er.«
    In den Augen des Abtes zuckte es. Kein gewöhnlicher Mann konnte es sein, wenn der Abt Tschu Tschi ihm einen Mönch als Führer mitgab.
    »Du kannst gehen. Sorge für den fremden Gast. Wenn er sich erfrischt hat, führe ihn zu mir.«
    Sifan war gegangen. Der Abt schritt unruhig auf und ab. Seine Ungeduld wuchs immer mehr.
    Die Tür des Gästehauses öffnete sich. Sifan kam mit dem Fremden. Der Pilger warf sich vor dem Bilde Buddhas nieder, verharrte in kurzem Gebet und beugte dann das Knie vor dem Abt. In dessen Geist kreuzten sich blitzschnell tausend Gedanken, Erinnerungen. Dieser Kopf, diese Züge, wo hatte er sie schon gesehen?
    »Jemitsu?« kam es leise zweifelnd aus seinem Munde. »Bist du es?«
    Der andere hob den Kopf. »Ich bin es, Ehrwürdiger.«
    »Du bist mir willkommen, Jemitsu. Was treibt dich zu solch weiter Fahrt?« fragte Turi Chan stockend.
    »Mein Geist ist krank in schwärenden Zweifeln, ehrwürdiger Vater. Man entließ mich, weil ich zu Taten rief, nach denen mein Herz schreit. Ich will mich hier kasteien und um Erleuchtung ringen.«
    Lange blieben sie zusammen. Immer wieder warfen sie sich vor dem Buddhabild nieder, rangen in heißen Gebeten – und die Himmlischen schienen ihrem Flehen Gehör zu geben. Immer heller, stärker wurde ihr Geist. Immer mehr festigte sich in ihnen die Erkenntnis: Es ist der Wille der Götter, die große Tat muß gewagt werden, sie wird gelingen.
    Der nächste Morgen sah sie im Gemach des Abtes in eifrigem Gespräch.
    »Da ich die Erleuchtung gefunden habe, Turi Chan, will ich den schweren Weg gehen. Ich will zurückkehren in die Heimat, will kämpfen und leiden, daß ich sie aufrüttle, die Trägen, daß ich sie zwinge, die Blinden, die Widerstrebenden, eins zu werden mit mir, zu handeln, wie es die Götter wollen.«
    »Nun, da ich sehe, daß du noch immer fest in deinem Glauben bist und entschlossen, nach dem Willen der himmlischen Mächte zu handeln, will ich dir mein großes Geheimnis enthüllen. Ich verschwieg es dir bisher, denn niemals solltest du später glauben, erst diese Kenntnis hätte dich zur Tat getrieben.«
    Der Abt ging zu einem Schrank, nahm ein Buch heraus, legte es neben sich und begann dann zu sprechen.
    »In Irkutsk lebte ein Gelehrter, Allgermissen, der überzeugt war, daß das denkende menschliche Gehirn nichts anderes sei als ein elektrischer Sender, das mitfühlende Gehirn nichts anderes als ein elektrischer Empfänger. Viele Jahre arbeitete er daran,

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