Der Befehl aus dem Dunkel
uns sehr gut. Es war mir ein Vergnügen, die Bekanntschaft – ich darf wohl annehmen, Ihres Verlobten – gemacht zu haben.«
Anne nickte. Eine Weile plauderten sie lebhaft über Georg. Dann wurde das Gesicht des Majors ernster. Vorsichtig, jedes Wort wägend, sprach er von dem, was er aus der Unterredung von Helene und Alfred Forbin stückweise entnommen hatte. Je weiter Dale sprach, desto unruhiger wurde Anne. Obwohl der Major sich mit größter Zurückhaltung ausdrückte, war aus seinen Worten zu entnehmen, daß Georg Feinde habe, die Böses gegen ihn im Schilde führten. Annes Unruhe war zu höchstem Schrecken, stärkster Angst gestiegen, als Dale geendet.
»Das ist ja entsetzlich, fürchterlich! Wenn nur ein Teil von dem zuträfe, was Sie sagten … Was kann ich tun? Ich bitte Sie, Herr Dale, raten Sie mir.«
Dale nahm einen Block aus seiner Tasche und begann zu schreiben. Es war ein Telegramm an Georg Astenryk. »So, gnädiges Fräulein, würde ich handeln, wenn mir die Adresse Ihres Verlobten bekannt wäre. Wollen Sie unterschreiben, so werde ich das Telegramm dem Schaffner sofort zur Expedition übergeben.«
Anne überflog die Worte, griff zum Bleistift, schrieb die Adresse darüber, ihren Namen als Unterschrift. Der Major nahm das Blatt und ging hinaus.
»Sie können beruhigt sein«, sagte er, als er sich wieder zu ihr setzte. »Das Telegramm ist schon unterwegs.« Er wollte noch weiter sprechen, da fiel sein Blick durch die Glastür in das Raucherabteil des Speisewagens.
»Verzeihung, gnädiges Fräulein. Ich glaube, es ist ratsam, wenn wir unser Gespräch unterbrechen und uns fremd stellen. Gleich wird der Herr, der Gatte Ihrer Schwester, hier eintreten.« Bei den letzten Worten hatte er schon die Zeitung ergriffen und sich darin vertieft.
»Na, Anne, wo bleibst du? Komm! Helene verlangt nach dir.« Forbin warf einen mißtrauischen Blick auf Major Dale, wandte sich dann kurz um und ging vor Anne her aus dem Wagen.
*
Die Sonne stand schon hoch über dem Wilden Rain, als die Fensterläden der Almhütte zurückgestoßen und die Fenster geöffnet wurden. Der erste Teil der Nacht war sehr unruhig verlaufen. Noch bis zum Morgengrauen hatten Georg und Marian zusammengesessen und über die Ereignisse gesprochen.
Georg schaute hinaus. Der Hund sprang wedelnd am Fenster hoch. »Das hast du brav gemacht, alter Nero!« Der Hund machte ein paar vergnügte Sprünge, lief dann über die Almwiese und kam mit etwas Glänzendem im Maul zurück.
»Na, Nero, was hast du denn da?« sagte Georg erstaunt und nahm dem Hund den Gegenstand aus dem Fang. Es war ein silbernes Zigarettenetui. Georg öffnete es. Da stand eingraviert: »Camille Forestier«.
»Ah, Marian! Komm doch mal her! Hier dieses Beutestück ist auf der Strecke geblieben.«
Marian nahm das Etui in die Hand. »Wir werden es aufheben, Georg. Möglich, daß uns der Herr einmal wieder begegnet, dann können wir es ihm ja zurückgeben.«
Georg hob schützend die Hand vor die Augen und sah den Weg zum Tal hinab. Da kam ein Bote und winkte von weitem. Georg eilte ihm ein Stück entgegen. Er brachte ein Telegramm. Georg riß es auf, las.
Der Inhalt … die Unterschrift Annes … Wie hing das alles zusammen? Sollte Forbin auch hierbei die Hände im Spiel gehabt haben? Aber nach dem Telegramm zu schließen, das im Zug Paris–Brüssel aufgegeben war, mußten sie ja alle jetzt in Brüssel sein. Langsam schritt er den Berg hinauf zur Hütte und gab Marian das Telegramm.
»Das ist ein sonderbarer Zufall, Georg«, sagte er dann stockend, »wie konnte Anne das wissen? Nun, warte auf den nächsten Brief von ihr. Der wird dir Aufklärung geben.«
Durch Annes Telegramm von neuem erregt, sprachen sie über das Abenteuer der Nacht. Einige ungebetene Gäste waren von der mit dem Verstärker gekoppelten Meldeanlage angezeigt und durch Gedankenbefehl sofort wieder zur Umkehr gezwungen worden. Das also steckte dahinter. Es war klar, daß da eine schwere Gewalttat geplant war mit dem Ziel, sich in den Besitz von Georgs Person und seiner Erfindung zu setzen.
*
Anne saß in Brüssel und schrieb einen Brief an Georg. Es war schwer, Georg Aufklärung zu geben, ohne ihre Verwandten allzu stark bloßzustellen. Endlich glaubte sie den rechten Ton gefunden zu haben. Sie verschloß den Brief und wollte ihn zum Postamt tragen. Vor dem Hause begegnete ihr der Briefträger mit einem Telegramm für sie. Sie riß es auf und las:
»Alles in Ordnung. Danke Dir tausendmal. Dein
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