Der Benedict Clan 01 - Auf immer und ewig
unerwartet, dass Regina im letzten Moment noch fast das Essen fallen ließ. Hastig trat sie zurück und nahm wieder ihren Platz auf dem Fußboden ein. Schweigend verzehrten sie ihr bescheidenes Mahl. Zwischendurch öffnete Kane einen der Soft Drinks und reichte ihr die Flasche. Weil sie wusste, dass die sanitären Anlagen spartanisch beziehungsweise nicht vorhanden waren, genehmigte sich Regina nur wenige Schlucke des lauwarmen Getränks.
Nachdem sie alles aufgegessen und den Abfall weggeräumt hatten, ging die Dämmerung langsam in Dunkelheit über. Und mit der Dunkelheit vertieften sich auf einmal die sinnlichen Wahrnehmungen. Viel intensiver noch als zuvor erschien Regina plötzlich der erdige Geruch des Zypressenholzes, aus dem der Hochstand gebaut war. Sie nahm den modrigen Geruch faulender Wasserpflanzen wahr, der mit dem Wind zu ihnen hereinwehte. Sie roch die Feuchtigkeit, hörte die Schreie der Nachttiere. Eine Mücke surrte um ihre Köpfe. Sekunden später schlug Kane sich auf den Arm und rieb dann die Hand an seinem Ärmel. In Reginas Augen hatte er ihnen damit einen größeren Dienst erwiesen, als wenn er einen Drachen erschlagen hätte.
Sie kam schon auf seltsame Gedanken. Es musste daran liegen, dass sie so untätig hier herumsaß. Ruhelos versuchte sie eine bequemere Stellung auf dem harten Boden zu finden. Dabei sann sie zum hundertsten Mal über einen Ausweg aus ihrem Dilemma nach.
Kane wandte den Kopf und sah zu ihr herüber. Nur schemenhaft konnte sie sein Gesicht sehen, und schon gar nicht vermochte sie den Ausdruck in seinen Zügen zu erkennen. Seine sonore Stimme schien aus dem Dunkel zu kommen, das zwischen ihnen lag.
„Wollen Sie darüber reden?"
„Worüber?" Sie wusste, was er meinte, wollte aber sicherheitshalber noch einmal nachfragen, falls sie sich getäuscht hatte.
„Was Ihre Abwehr Männern gegenüber ausgelöst hat. Wer hat Ihnen so wehgetan, dass Sie vor jeder Berührung zurückschrecken?"
„Wie kommen Sie darauf, dass ich ..."
„Machen Sie mir nichts vor, okay? Sie brauchen mir nicht zu beweisen, wie stark und unabhängig Sie sind."
Regina schluckte herunter, was sie hatte sagen wollen. „Ich bin nicht stark", entfuhr es ihr. „Das wissen Sie besser als jeder andere..."
„Als jeder andere Mann? Warum?"
„Weil Sie der Einzige seit langem sind, der es geschafft hat, sich mir zu nähern."
Er stöhnte, als hätte er einen Schlag in die Magengrube erhalten. „Sie verstehen es weiß Gott, einem Mann zu schmeicheln", sagte er voller Ironie. „Man fühlt sich richtig gut, wenn man so etwas hört."
„Es lag nicht in meiner Absicht, irgendwelche Gefühle in Ihnen zu wecken", erwiderte sie.
„Das weiß ich, und das macht die Sache noch schlimmer. Aber ich habe Ihnen eine Frage gestellt."
Seine Anteilnahme war verführerisch. Sie hatte fast den Eindruck, als hätte er ein persönliches Interesse daran, was sie sagte. War dies das Geheimnis, das sich hinter dem Mythos des Südstaaten-Gentleman verbarg? Oder war dieser Zug nur Kane zu Eigen? Wenn ja, dann hatte er Erfolg damit. Er wusste schon so viel von ihr, warum sollte er nicht auch den Rest erfahren? Und reden war auf jeden Fall besser, als wartend herumzusitzen und sich anzuschweigen.
Nachdem der Damm erst einmal gebrochen war, redete sie sich alles von der Seele, erzählte von dem naiven, altklugen Teenager, der sie gewesen war, von der Torheit, eine Schwäche für einen Harvard-Studenten mit einem schnellen Wagen zu entwickeln, von dem widerlichen Geschmack des mit Drogen versetzten Weines, von dem Schmerz und der Demütigung, die sie empfand, als sie merkte, dass sie während ihrer Bewusstlosigkeit missbraucht worden war.
„Haben Sie diesen Harvard-Studenten wenigstens angezeigt?" fragte Kane, als sie geendet hatte.
Sie schüttelte den Kopf. „Sein Vater war ein hohes Tier mit einem Stall voller Anwälte. Außerdem gab es keinen Beweis, außer einigen blauen Flecken und vermutlich Spuren der Droge im Blut. Es hätte sich wohl nachweisen lassen, dass ich entjungfert, aber nicht, dass ich zum Sex gezwungen wurde. Seine Aussage hätte gegen meine gestanden, und eine Nebenwirkung der Droge ist, dass sie Gedächtnislücken hinterlässt. Ich konnte mich nicht erinnern, was geschah oder wo wir waren, wann ich den Wein trank, wer sonst noch dabei war. Ich wusste einfach nichts Konkretes. Nur am Ende musste die Wirkung der Droge nachgelassen haben, denn ich habe diese vage, traumgleiche Erinnerung, dass ich im
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