Der Benedict Clan 05 - Fremder Feind
Treenas Mann der Agent sein musste, der in die Terrororganisation eingeschleust worden war? Wie viel von allem verstand er? Er hatte viele Jahre in orientalischen Ländern verbracht, doch wie gut verstand er Ismaels unerschöpfliche Geduld oder seine Gründe, die von uralten Gesetzen und Traditionen durchdrungen waren? Genügte es? Wenn ja, dann musste er sich sofort zurückziehen und genügend Abstand zwischen sich und den Keller bringen.
Aber das widersprach seinem Ehrenkodex, er konnte das nicht machen. Und er konnte es nicht, weil Jake noch immer eine Geisel war. Auch Roan konnte sich nicht zurückziehen. Chloe war sicher, dass sie ihr beide gefolgt waren, jedoch konnte sie sich nicht jetzt umsehen, wo jede Sekunde zählte. Sie wusste keine Antwort auf ihre Zweifel, während sie einen großen Schritt auf Ismaels ausgestreckte Hand zu machte. Es war nicht seine Rechte, die Hand, die für Respekt stand, doch welchen Unterschied machte das schon?
Sein Griff war fest, jedoch nicht Besitz ergreifend. Über die Schulter sagte er zu Ahmad: „Und jetzt den Jungen."
„Es ist fair", wiederholte Chloes Stiefbruder voller Hohn, dann stieß er Roans Sohn von sich.
Jakes Gesicht war schneeweiß, seine Unterlippe war aufgeplatzt und angeschwollen, doch er hielt sich stolz aufrecht, und er ließ es nicht zu, dass man ihm seine Angst ansehen konnte. Es ging ihm gut. Er konnte laufen, er brachte es sogar fertig, lässig zu gehen, um zu zeigen, wie wenig ihn die Ereignisse berührten. Chloe wollte, dass er sie ansah, und nicht Ahmad. Sie betete, seine Rettung durch sie möge ihn nicht so sehr in Verlegenheit gebracht haben, dass er es nicht konnte.
Dann begegneten sich ihre Blicke. Sein schiefes, zustimmendes Lächeln glich so sehr dem seines Cousins, dass ihr Herz bei seinem Anblick fast einen Satz machte. „Lauf", sagte sie. „Um Gottes willen, lauf! Jetzt!"
Das war das Stichwort.
Ahmad hob seine Waffe, im selben Moment zog Ismael den Zünder der Granate und drehte sich um. Sie sah noch, wie er auf Ahmad zusprang und seine Arme um ihn legte, wie es sonst nur Liebende machten, und ihn mit sich zu Boden riss.
Hinter sich hörte Chloe Schritte, jemand packte sie und zerrte sie mit sich, fort von Ismael. Aus dem Augenwinkel sah sie, wie Roan Jake packte und mit einem gewaltigen Sprung in Sicherheit brachte.
Dann fiel sie zu Boden, überschlug sich und rollte weiter, immer umgeben von Wades Armen, die keinen Millimeter nachgaben, während hinter ihnen eine Explosion die Stille zer-riss. Der Knall dröhnte in ihren Ohren, der gleißende Blitz der Detonation blendete sie, der Waldboden erzitterte. Sie bekam Erde und Gras in den Mund. Etwas Schweres lag auf ihr, bedeckte sie und raubte ihr den Atem. In ihrem Geist herrschten Entsetzen und Trauer und eine schmerzhafte Dankbarkeit, die sie niemals würde zum Ausdruck bringen können. Zumindest nicht in diesem Leben.
Dann kehrte wieder völlige Stille ein.
„Du willst also abreisen."
Chloe schaute Wade an, der in der Türöffnung stand. Sie fand, dass er so müde aussah, wie sie sich fühlte. „Es wird Zeit. Ich kann nicht ewig hier bleiben."
„Es sind doch erst vier Tage."
„Es kommt mir länger vor." Sie blieb stehen, in der Hand hielt sie ihre Duschhaube und einen Lippenstift. Dann machte sie sich daran, den Plastikbeutel weiter zu füllen, der ihr Gepäck darstellte.
„Mom sagt, du hast darum gebeten, nach New Orleans mitgenommen zu werden, wenn sie mit Adam und Lara zurückfährt." Wade lehnte sich gegen die Tür, während er die Fingerspitzen in die Taschen seiner Jeans steckte.
„Bei der Videokassette, die ich von Freshta bekommen habe, war auch eine Telefonnummer der RAWA-Gruppe in Kalifornien. Bis ich Kontakt mit ihr aufgenommen und mich um den Nachlass meines Vaters gekümmert habe, bleibe ich in einem Hotel in New Orleans."
„Und was dann? Du wirst mit Leuten zusammenleben, die du nicht kennst, deren Glaube nicht deiner ist, und das alles in einem Haushalt, in dem wahrscheinlich von dir erwartet wird, dass du wieder jeden Quadratzentimeter deiner Haut unter Stoff versteckst, sobald du aus dem Haus gehst."
„Ja, so in der Art."
„Warum?" Verärgerung ließ seine Stimme rau klingen. „Du weißt genau, wie es sein wird. Du weißt, welche Probleme entstehen können."
Sie wollte ihn nicht ansehen. „Die RAWA versucht, Menschen dazu zu bringen, ihre Einstellung zu ändern, hier und im Mittleren Osten. Ich muss irgendwo hingehören, ich muss etwas
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